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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Michel, Wilhelm: Flächen-Charakteristik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0456

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432

INNEN-DEKORATION

EINFACHER WASCHTISCH. HOLZ WEISS LACKIEKT.

die alten Meister
derKunstverglas -
ung und des Glas-
gemäldes denBe-
griflf Fläche zu
wahren gewußt.
Jahrhundertehin-
durch hat man
die Glasfenster in
den Kirchen rein
als farbenglühen-
de Teppiche be-
handelt, alle Fi-
guren en face und
ganz flach mo-
delliert, kaum,
daß einmal einer
es wagte, eine
Figur im Profil zu
geben,unddurch-
aus in der Ebene
hielt sich immer
das umrahmen-
de Ornament. —

TOILETTE-TISCH FÜR EIN DAMEN-SCHLAFZIMMER

Dagegen vergleiche man die Kunstverglasungen neuerer
und neuester Zeit! Die Fläche zerrissen von unerträg-
lichen Perspektiven und Verjüngungen, die Figuren
lebhaft und durchaus nicht nur in der Fläche bewegt,
ganze landschaftliche Arrangements, die sich ja nicht
darstellen lassen, ohne daß man in die Tiefe geht. Keine
Spur von der ernsten, keineswegs bloß in stilistischen
Tendenzen begründeten Gehaltenheit der alten Meister.
Ähnliches gilt auch für Gewebe, Teppiche, Stickereien,
auch für solche, die
keinen figürlichen, son-
dern einen rein orna-
mentalen Schmuck auf-
weisen. In jedem
simplen Vorsatzpapier
kann der Künstler
zeigen, ob er sich
dieser Grund - Anfor-
derung der Fläche be-
wußt ist oder nicht.
In dem Streben, Neues
zu bringen, haben sich
unsere Flächenkünstler
sehr häufig dieseGrund-
lage jeder dekorativen
Wirkung zerstört. Gibt
es doch heute Estrich-
muster aus Tonplatten,
die den Boden gewellt
oder gerieft erscheinen
lassen, gibt es doch
Stickereien und Tape-
ten, die durch starke
Schattenwirkungen das
Auge hinsichtlich ihres
Flächen - Charakters
ständig beunruhigen.
Daneben stehen frei-
lich heute schon zahl-

reiche Flächenmuster, die in dieser Hinsicht einwand-
frei sind, aber es dürfte von dieser Regel überhaupt
keine Ausnahmen geben, weil sie ganz elementarer Natur
ist. An einem der besten und in modernstem Geiste
gehaltenen Monumentalbauten Münchens gibt es ein Tor-
gitter, das auf wunderliche Weise eine Art perspek-
tivisch gesehenen Estrich vorzustellen scheint. Das
heißt, die Eisenbänder laufen nach der Mitte hin zu-
sammen, wie in der Natur spitzgesehene parallele Linien

zusammenlaufen; sie
werden von Querbän-
dern so geschnitten,
daß wie gesagt der
Eindruck entsteht, als
hätte der Künstler die
Ansicht eines mit vier-
eckigen Platten beleg-
ten Estrichs darstellen
wollen. Der Erfolg ist
der, daß die abschlie-
ßende Gitterfläche op-
tisch gar nicht vor-
handen ist. Unzählige-
male habe ich beim
Vorübergehen den be-
unruhigenden, ja quä-
lenden Eindruck kon-
statieren können, den
diese Gitterfläche auf
das Auge macht. Und
ich sage mir, solange
solche Verfehlungen
vorkommen, solange
mangelt es der Künst-
lerschaft auch heute
noch an der primi-
tivsten Einsicht in die
Grundgesetze kunstge-
werblicher Gestaltung.

KLEIDER- UND WASCHE-SCHRANK. AUSF.: A. PÖSSENBACHER—MÜNCHEN.
 
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