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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Michel, Wilhelm: Wir passen uns an
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0110

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INNEN-DEKORATION

WIR PASSEN UNS AN

ir durchwandern im Leben viele Wohnräume -
wir, die notgedrungenen Nomaden des modernen
Berufslebens, das uns erst einmal ausgiebig von Ort zu
Ort »versetzt«, ehe es uns, so wir Glück haben, ein spä-
tes Verwachsen mit Erde, mit Bäumen und Räumen
ermöglicht. Beim Rückblick auf die zahlreichen Woh-
nungen, die einmal für längere oder kürzere Zeit
unsre »Welt« waren, wundern wir uns selber dieser er-
staunlichen Fähigkeit, mit den verschiedensten Arten
von Wohnräumen auszukommen. Man sagt zur Er-
klärung: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er
stumpft ab gegen Unerwünschtes, sagt man, er schickt
seine Kritik zur Ruhe und stellt sich um. Aber es ist
etwas Besseres und Schöneres hinter dieser Anpas-
sungsfähigkeit. Nicht bloß stumpfe Gewöhnung, son-
dern eine ungeheuer vielseitige Ansprechbarkeit, eine
fast unbegrenzte Empfangsbereitschaft läßt uns
immer wieder freundliche positive Beziehungen zur
Umgebung finden. Bietet uns die Wohnung eine be-
sondere Raumweite, so genießen wir die gedehntere
Bewegungsfläche, die größeren Raumgefühle als
einen Zuwachs an innerem Schwung. Steckt uns das

Geschick in eine raumenge Großstadtwohnung, so
wissen wir gerade die eingepackte, gut organisierte
Behaustheit mit ihren warmen Begrenzungsgefühlen
zu schätzen. In beiden Fällen treten menschliche
Grundtriebe ins Spiel. Die weite Wohnung entspricht
dem Grundtrieb zur Expansion, zur freien Ausdeh-
nung, die engen Räume entsprechen dem Grundtrieb
zur Beschränkung, zum festen Fühlen der Eigenheit.
So ist im einen Fall unser Menschliches so positiv be-
dient wie im andern.

Das gilt auch nach andrer Seite hin. Leben wir im
Einzelhaus, so empfinden wir mit Vergnügen die Ab-
wesenheit störender Nachbarn. Aber man spreche ein-
mal mit Leuten, die wirklich in einem isolierteren Ab-
seits gelebt haben! Sie bekunden oft einen recht ge-
schärften Sinn für die hilfreiche Nähe umgänglicher
Haus- und Flurnachbarn. Und auch sonst . . . Führte
mich jüngst der Weg durch die alten Teile unsrer
schönen hellen Stadt. Da sind in Jahrhunderten in
buckligen Gassen die Häuser mit ihren schmalen
Zweifensterfronten ineinander und übereinander ge-
wuchert, so daß man mehr ein pflanzliches Gewirre
 
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