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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Kleinhempel, Erich: Nachdenken - Übung in der Geschmacksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0118

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INNEN-DE KORATI ON

fabrikmäßiger Wirtschaftlichkeit entstehen, das heißt
er darf einesteils nicht so geformt werden, wie es sich
nach konventioneller Meinung für Eßtischstühle
»schickt« oder für Salonstühle, und weil »man« sie
eben überall »so« hat, oder wie es ein historischer Stil
vorschreibt, und er darf andernteils nicht so »genormt«
sein, wie es eine profitliche Massenherstellung aus-
klügelte. Er muß Stuhl, Sitzgelegenheit im aller-
besten Sinne sein; nicht zu hoch in den Beinen, tief
genug im Sitz und breit genug, seine Lehne habe die
richtige Neigung und Schweifung, sein Gewicht sei so
leicht und seine Bewegbarkeit so groß, wie irgend
möglich.

Eines schließt ja das andere nicht aus: Diese oder
jene Beispiele, deren man sich bei Anschaffung be-
dienen möchte, mögen bereits so beispielhaft und ge-
eignet sein, daß man gut daran tut, sich nach ihnen
zu richten, und diese oder jene Fabrik mag so voll-
kommen ausgeprobte Sitzmöbel herstellen, daß sie
auch hier- und dorthin passen, aber das »Herkom-
men« soll nicht bestimmen, sondern einzig und allein
der unmittelbare Gebraucher.

Ein Eßtisch sei nicht zu hoch, sondern tunlichst
niedrig; denn man muß frei an ihm sitzen und leicht
allerwärts hinlangen können, soll nicht tief darum
herumhocken und hinter ihm abgesackt erscheinen;
ein Arbeitstisch kann (je nachdem) höher sein; ein
Familientisch kann die übliche Höhe von 78 cm
haben, weil man gewöhnlich in größerem Kreise um
ihn sitzt und etwas von ihm abrückt; der Spieltisch
sollte 75 cm kaum erreichen, ist zumeist mit 70 cm
vollkommen hoch genug; der Rauchtisch kann noch
niedriger sein und der Teetisch auch, zumal wenn er
vorübergehendem Besuch dient, herangeschoben und
wieder weggefahren werden soll.

Alle Möbel seien überhaupt so gering wie möglich
in allen ihren Ausmaßen; Ausladungen seien tun-
lichst vermieden, da sie verkehrshemmend sind, Kin-
dern gefährlich, auch großen Leuten noch blaue
Flecken versetzen, beim Transport Gelegenheit bie-
ten, abgebrochen, beschunden zu werden, und auf die
atavistische Meinung zurückgehen, ein Möbel sei eine
Architektur; aber es regnet nicht in den Wohnräu-
men, daß es überstehende Verdachungen braucht,
und auch sonst haben »Möbel«, wie ihr Name sagt,
nichts mit Außenarchitektur zu tun.

Je geringer unsere Möbel sind, um so größer erschei-
nen unsere Räume und wirken dadurch wohltuend,
wenn sie es aber auch wirklich sind, lassen sie uns
Bewegung zu. Wie schön, wenn wir in unseren eige-
nen Räumen auch mal etwas Spazierengehen kön-
nen! Wir packen unsere Räume viel zu voll! Wir
rechnen auch viel zu sehr mit der Zahl unserer Wohn-
räume — auch hier spielt uns die Konvention oder
verkehrte Erziehung einen Streich. Was fange ich
damit an, daß mir ein Haus angeboten wird mit sechs
Zimmern, und es sind nur Zimmerchen (Löcher, grob
gesagt)? Nicht die Zimmerzahl ist endausschlagge-
bend, sondern der Flächeninhalt. Ein Zimmer von

4 mal 8 m ist zweckhafter, wohnlicher, schöner als
zwei Zimmer von je 4 mal 4 m. Hier kommen auch
größere Möbelstücke zum Recht und bleiben ge-
bührend bescheiden.

Unbedingt eine »Diele« haben zu wollen, wenn der
Raum dazu nur auf Kosten der eigentlichen Wohn-
räumigkeit erreicht werden kann - zumal ein solch
kümmerliches Dielchen kaum genutzt wird, auch gar
nicht genutzt werden kann — welcher Unfug!

Das geforderte Nachdenken geht also nicht nur auf
den Geschmack in Ausstattungsfragen, sondern auch
auf den Geschmack in Lebenslagen und Lebensart.
Und daran zu erinnern, ist an der Zeit, weil wir in der
Zeit des Siedeins sind. Siedeln bedeutet für die mei-
sten eine gewisse Einschränkung, und diese wiederum
eine Maßstabsumstellung, eine Umwertung der Ver-
hältnisse und in unvermeidlicher Folge entschiedene
Abstriche von Konventionszwang und Besitzüber-
lastung. Schon unsere Volksgemeinschaft, unsere
Verkehrsumstellung, unsere soziale Einordnung ge-
ben uns ihren neuen Maßstab, der natürlicherweise
bis in Familie und Einzelleben reicht und dement-
sprechend beachtet werden will.

Zur ausreichenden Räumigkeit gehört die Licht-
bewertung. Helligkeit macht Räume weit. Tageslicht
ist gefühlsmäßig etwas so Kostbares, daß man es
überallhin lassen und seine Schönheit mit in seine
Geschmacksübung einstellen sollte; künstliches Licht
ist etwas so Kostspieliges, daß man seine Auswirkung
nicht erschweren und verteuern sollte durch düstere,
undurchdringliche, lichtschluckende Farben. Weist
sich ein Raum schließlich doch als zu hell aus, so kann
er leicht gedämpft, abgeblendet werden; nicht so leicht
ist es, einen zu dunklen Raum aufzuhellen. Eine der
ersten Geschmacksübungen: Farbigkeit vorher erwä-
gen und dabei die Helligkeit tunlichst weit dehnen!

Unbunte Farben sind aber deswegen nicht etwa
Fehlfarben! Graue Farben sind im Gegenteil uner-
läßliche Verbindungshilfen, um mit wenig Mitteln
dennoch recht farbig wirken zu können. — Auch
dunkle, schwarze Farben sind keine Fehlfarben! In
Flächen und Körpermaßen sind sie, zumal auf heller
Rückwand, von raumteilender Bedeutung, sind starke
dekorative Anordnungsmittel, wohltuende Blick-
punkte, geeignete Maßstabhilfen für den Beschauer.

Der Wille, sich ernstlich in seiner Geschmacks-
ausbildung zu üben, führt allein schon mit diesem
allgemeinen Hinweis auf Licht und Farbe über die
Brücke zu allen andern Geschmacksbetätigungen im
eignen Heim, schließlich dahin, aus jeglicher Gege-
benheit immer noch etwas Erträgliches zu machen:
Man entfernt »Galerien«, beizt unpassende Polituren
und Lasuren ab, läßt »Umbauten« weg, rahmt Bilder
um, spart Draperien ein, zwingt sperrige Zimmer-
pflanzen (etwa Scheusäler von Prunkpalmen) in ge-
bührende Bescheidenheit zurück, läßt diesen oder
jenen »Beleuchtungskörper« so schön sein und so
teuer gewesen sein, wie er will, aber nimmt ihn nicht
mehr in den neuen Raum. - prof. Erich kleinhempel
 
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