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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Neue Wohnform - und tiefere Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0269

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INNEN-DE KORAT ION

255

»KQCHE« HELLBLAUE SCHLEIFLACKMÖBEL - »HAUS EINES SCHRIFTSTELLERS« VON AGNOLDOMEN1CO P1CA

für die bestimmte hohe Artung der hellenischen Kul-
tur eine breite Unterschicht von grundsätzlich Nicht-
Teilhabenden geradezu notwendig gewesen sei. War-
um ist heute eine Wohnkultur, die nicht von vorn-
herein das ganze Volk zum Mitgenuß ihrer we-
sentlichen Werte beruft, eine Unmöglichkeit? - Der
Grund liegt darin, daß alle Glieder und Schichten im
Volke gleich wichtig geworden sind. Es kann vom
Leben eines Volkes nicht mehr gesprochen werden,
ohne daß man es als einen Zusammenhang versteht,
in dem jede Schicht durch Gliedschaft gleichwertig
und lebenswichtig ist. Technik, Wirtschaft, Krieg-
führung, Arbeitsleistung überhaupt schließen in ihrer
heutigen Entwicklung überall die sämtlichen Men-
schen eines Volkes ein; mit dieser Tatsache ist ein
grundsätzlicher Ausschluß irgendeiner Schicht von
den Kulturgütern unvereinbar. Der Sklave war
»Sache«. Aber er zog auch nicht in den Krieg, denn
dieser bedurfte seiner nicht. Der alte Krieg stand auf
dem Tempo des Fußgängers, er kannte nicht die
Fronten von Meer zu Meer, er brauchte noch nicht die
Millionenheere und die Seelenstärke jedes einzelnen
Mannes. Moderner Krieg aber und ebenso moderne

1938. VII. 4

Technik haben die Wichtigkeit des Masseneinsatzes
- und zwar jedes einzelnen Menschen innerhalb die-
ser Massen als eines vollbewußten Verantwortungs-
trägers - im »Leibe«. Sie wissen, selbst ohne es zu
»wissen«, von der Kostbarkeit und Unentbehrlichkeit
gerade derjenigen Schichten, die auf früheren Ent-
wicklungsstufen am häufigsten der kulturellen Ent-
erbung verfielen. Und auf dieser Grundlage begreifen
wir heute, daß kulturelle Ausklammerungen, wie sie
früher die Regel waren, nicht etwa nur dem »Gerech-
tigkeitsgefühl«, sondern den wichtigsten völkerbiolo-
gischen Grundtatsachen ins Gesicht schlagen würden.

Fassen wir von hier aus erneut die Tatsache ins
Auge, daß der heutigen Wohnkultur der Anspruch,
allen zugute zu kommen, wesenhaft innewohnt, so
wird sie uns fortan nicht mehr als eine bloß ästhe-
tische oder geschmackliche Sache erscheinen. Wir
werden in der Wohnform der Gegenwart den unmit-
telbaren Ausfluß einer neuen, erhöhten Wertung
des lebendigen Menschen erblicken. Wir werden sie
innig verbunden sehen mit der neuen Art, wie das
Leben eines Volkes sich selbst begreift als geglieder-
ten Organismus, dem nichts Überflüssiges zugehört. -
 
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