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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Sitzen und sitzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0276

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262

INNEN-DEKO RATION

SITZEN UND SITZEN ist zweierlei. Sitzen kann haften Rundungen sich entfaltende Sitzburg, wie et-
man auf einer Kiste, auf einem braven Feldstein. wa der unten abgebildete Polstersessel — bietet sie
Aber was heißt da »Sitzen«? - Entlastung der Beine, nicht mehr? Sie ist nicht auf eine knappe Reihe von
weiter nichts. Doch auch das Sitzen in der Wohnung möglichen Entspannungshaltungen ausgerechnet, sie
bedeutet sehr Verschiedenes. Das Sitzen zum Zweck ist eine ganze zusammenhängende Landschaft von
des Essens oder Arbeitens ist etwas andres als das freundlichen Schwellungen, die bei jeder erdenk-
Kauern auf Schemel oder Sofa. Es gibt ein haltungs- liehen Haltung dem Körper mit elastischen Wider-
volles und ein entspanntes, es gibt ein aktives Sitzen ständen begegnet. Nicht nur der Rumpf, sondern auch
(wie beim Besuch oder bei Verhandlungen) und ein die Arme und Hände haben etwas von ihr, und selbst
passives (wie beim behaglichen Ausruhen oder beim dem Persönlichkeitsgefühl teilt sich ihre Stattlich-
anspruchslosen Geplauder). Aus einem Klubsessel keit mit. Man i s t etwas, wenn man sich auf diese
heraus eine angeregte Diskussion führen ? - Aus- Sitzburg begibt. Man hat eine feste Stellung zum
geschlossen. Wer in weichen Lederpolstern hinge- Leben, man hat eine Weltanschauung, man ist ein
gössen liegt, ist mit der Welt zufrieden, er kämpft kleiner Goethe oder Adalbert Stifter. Und selbst das
nicht und läßt sich die Meinung des Nebenmenschen ist ein Wert an einem solchen Möbel, daß es sich
gern gefallen. Schon Lichtenberg, der große Darm- nicht so leicht verrücken läßt, daß es nicht unter-
städter Psychologe aus dem 18. Jahrhundert, hat be- würfig und demütig ist, sondern wie ein ehrwürdiges
merkt, daß man im Liegen ganz anders denkt als im Faktotum seine Würde zu wahren weiß. Nur wer
Stehen. Und so führt auch jede besondre Art des auf sich selbst etwas hält, kann andern etwas geben!
Sitzens eine bestimmte seelische Verfassung mit sich. ★

Körperhaltung ist meist auch Seelenhaltung! Das A LLE KÜNSTE fangen von dem Notwendigen an;

müssen wir bei der Zusammenstellung unsrer Sitz- JT\. allein es ist nicht leicht etwas Notwendiges in

möbel im Auge behalten. - Selbst zwischen Bequem- unserm Besitz oder zu unserm Gebrauch, dem wir

lichkeit und Bequemlichkeit gibt es Unterschiede. nicht zugleich eine angenehme Gestalt geben, es an

Ein gut konstruierter Stahlrohrsessel kann sehr be- einen schicklichen Platz und mit andern Dingen in

quem sein. Aber eine füllige, in behaglichen, körper- ein gewisses Verhältnis setzen können. - ooethe

»polstersessel« bezug aus sep1afarbenem wollstoff mit weissen punkten
entwurf: architekt hermann hofmann-ottendorf-okrilla
 
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