Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

DOI Artikel:
Ritter, Heinrich: Drei Stützpunkte...
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0363

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNE N - D EK ORAT ION 349

»unoarisches wohnschlafzimmer« kirschbaum, couch: hellgrauer samt,entw. prof. julius kaesz-budapest

die Spielarten des Geblüts, des Naturells, der Lebens-
auffassung zur Geltung, welche unter Menschen ver-
treten sind. Es gibt Zimmer, die unbeschwert lächeln,
und andre, die - immer innerhalb des Zeitstils - auf
ernste Weise freundlich sind. Plaudern, Arbeiten,
Teetrinken, Schlafen begibt sich hier im Stil des Ein-
falls, der Laune, des Aphorismus, dort gleichsam im
Stil wohlgesetzter, überlegter Rede. Ein Bett tut sich
hier als sachliches Schlafgehäuse auf, dort als leichte,
stabvergitterte Traumkutsche, die nur an kurze,
schöne Sommernächte zu denken scheint. Ein Frisier-
schemel, ein Nachttisch können ihre Dienste in stum-
mer Wohlerzogenheit erfüllen, sie können aber auch
ein Feuerwerk von strukturellen Überraschungseffek-
ten abbrennen und dadurch unterhalten wie das Ge-
spräch eines Menschen, der neckische Anspielungen
und scherzhafte Seitensprünge liebt. Und - denkt
solch ein Wohnraum - was heißt überhaupt: Möbel ?
Da sind wohl die altüberlieferten Formen wie Stuhl,
Sessel, Sofa, Tisch, die seit Jahrtausenden um uns her-
um mit biederen Pfoten auf dem Boden stehen - aber
wer will mich hindern, für mein besonderes Tempera-
ment Kombinationen zu erschreinern, die es noch
nicht gibt ? Und etwa meinen Teetisch auf Kufen zu

stellen, die Lehnen meiner Polstersessel als Konstruk-
tionsrahmen und stützende Gleitschienen weiterzu-
führen, und überhaupt überall in Profilen, Stärken
und Abmessungen kleine Plötzlichkeiten, unerwartete
Wendungen einzuführen, die das Gemüt aufkratzen?
Und im Zeitalter der Raupenwagen, die ihre eigne
Fahrbahn mit sich schleppen, wird wohl auch ein Sofa
seine eigene hölzerne Wandnische mit Flankentisch
und rundem Schubladenvorsprung als »angewach-
sene« Gliedmaßen mit sich führen dürfen. Wieweit
bleibt aller moderne Architekten-Mutwille noch hin-
ter der Ausgelassenheit jener Rokoko-Kabinette zu-
rück, die Wände und Decke unter einer stuckierten
Fauna und Flora, unter Spiegeln und Goldrahmen
restlos verschwinden ließen - und die uns heute noch
in Dutzenden von alten Palästen entzücken ? Aber im
Ernst: Kecke Wagnisse solcher Art können gerade
das Eigenheim auf die Möglichkeit hinlenken, den
Wohnraum noch viel mehr als bisher üblich, als eine
»Landschaft« von Geräteformen, nicht als ein Zusam-
mensetzspiel aus traditionellen Einzelstücken zu be-
handeln; und sie können überhaupt dem, was Musik
und Laune und Spiel ist, mancherlei neue Wege zum
Eindringen in das moderne Heim weisen. — h. r.

1938. x. 3»
 
Annotationen