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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Michel, Wilhelm: Raumdichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0389

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RAUMDICHTUNG

Raumgestaltung heißt zugleich Raumdichtung:
weil räumliche Tatsachen für das Auge dasselbe
sind, was Worte für Gehör und Gemüt bedeuten.
Räumliche Tatsachen gehen vielleicht noch unmittel-
barer die Seele an als das gesprochene Wort. Sie be-
dürfen zu ihrer seelischen Auswirkung nicht einmal
des Umwegs über das wache Bewußtsein. Höhe, Tiefe,
Breite, Überschneidung, Gliederung, Perspektive sind
im selben Sinne gemüts-unmittelbar wie Töne und
Akkorde von Musikinstrumenten. Wenn die Worte
der Dichtung erst in der Phantasie Vorstellungen auf-
rufen müssen, die sich dann zu einer schönen, poeti-
schen Welt fügen, so rufen Raumtatsachen direkt
seelische Spannungen und Dehnungen, Pressungen
und Befreiungen hervor, die sich zum »Raumerlebnis«
zusammenbauen. - Daß es eine tiefliegende Raum-
freude im Menschen gibt, weiß schon jener Sprach-
gebrauch, der einen »flachen« Menschen ohne weite-
res als etwas Minderwertiges hinstellt. Ein flacher
Mensch ist ein hintergrundsloser oder, im Bild des

Gewässers, ein »seichter« Mensch, dem die dritte Di-
mension abgeht. Ihm ist der »tiefe« Mensch entgegen-
gesetzt, der eben durch das Vorhandensein dieser
dritten Dimension reicher an Daseinsebenen, an Mög-
lichkeiten, Überraschungen, Hinterhalten und Wirk-
lichkeiten ist. — Wir werden das Geheimnis, welches
sich in der urgegebenen Raumfreude des Menschen
verbirgt, wahrscheinlich niemals ganz enthüllen.
Aber es dürfte u.a. einen psychologische n Grund darin
haben, daß der Mensch selbst seiner Struktur nach
ein räumlich-dramatisches Wesen ist, zu dessen
Grundgegebenheiten der »Rücktritt« von den Dingen,
der »Abstand« zwischen Bewußtsein und Welt gehört.
Tatsache ist jedenfalls, daß die künstlerischen Dar-
stellungen, die der Mensch erzeugt, so lange flach
bleiben, als sein Bewußtsein den vollen Rücktritt von
den Dingen noch nicht vollzogen hat. Je klarer sich
aber der innere Abstand auftut, desto stärker geht die
Darstellung in die Tiefe, sucht und findet sie Mittel,
das zauberhafte Hintereinander auszudrücken. w.M.
 
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