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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Michel, Wilhelm: Vom "Stil" und was damit zusammenhängt
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0418

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VOM »STIL« UND WAS DAMIT ZUSAMMENHÄNGT

Stil an sich ist hinfälliger Lebensausdruck. Wo Le-
ben ist, da entsteht in der plastischen Auswirkung
auf die Umwelt Stil. »Gebt mir Leben — und ich will
euch eine Kultur daraus machen!« lautet ein Wort
Nietzsches. Wir haben von dieser Seite her durchaus
ein Recht, schon vom »Stil einer Persönlichkeit« zu
reden. Ist das Leben in einem Einzelmenschen stark
und ausladend, bestimmt und charaktervoll, so wird
es sich nach allen Seiten hin ausprägen, im Sprechen
und Schreiben, im Denken und Handeln. Von Stil im
engeren Sinne sprechen wir aber nur da, wo es sich
um den Lebensausdruck einer Gemeinschaft handelt.
Und dies aus guten Gründen; denn jedes Einzelleben
ruht im Leben der zugehörigen Gemeinschaft; dieses
ist der eigentliche Grund und Wert seiner Lebendig-
keit. Daher steht das Wort Stil nur da in seiner vollen
Würde, wo es den Lebensausdruck einer Volksge-
meinschaft, also einen nationalen Stil bezeichnet.
Völker, Nationen aber legen einen langen Weg durch
die Geschichte zurück. Ihr Wesen, ihr Naturell
bleibt sich wohl in den Grundzügen gleich. Aber es
tritt von Epoche zu Epoche unter die Führung ver-
schiedener Tendenzen. Ein Volk kehrt nach und nach
in seinem Lebensausdruck verschiedene Seiten seines
Charakters, verschiedene Kräfte, Tugenden, Vermö-
gen seines Lebens hervor. Und so fließt ein Element
von Zeit in seinen Lebensausdruck ein. Schließlich
gibt es in der Rasse noch eine weitere Lebensgemein-
schaft, welche die der Völker übergreift. Dem Deut-
schen steht der Lebensausdruck in einem römisch-
italienischen Kunstwerk, in einer angelsächsischen
oder französischen Wohnung immer näher als der in
einem chinesischen Rollbild oder in einer Hinduwoh-
nung. Denn wie das »Volk« nicht nur eine Blutsver-
bindung, sondern vor allem eine Geistesgemeinschaft
bezeichnet, so deutet auch der Begriff Rasse auf etwas
Durchgehendes an Lebensstimmung und Lebensregel.
Gandhi setzt sich mit untergeschlagenen Beinen vor
das Mikrophon. Ein englischer Minister benutzt dabei
einen Stuhl. Semitische Völker entwickeln ihre Häu-
ser und selbst ihre Tempel aus dem Zelt. Die Bauten
der Arier Europas setzen das Gebälk aus Baumstäm-
men voraus. Noch wichtiger: für den Asiaten sind
Haus und Geräte grundsätzlich etwas Flüchtiges,
Wechselndes; für den Europäer und namentlich für
den Deutschen sind sie grundsätzlich etwas Festes,
Bodengebundenes. Was liegt hier alles verborgen an
tiefsten Bestimmungen der Daseinsweise, an un-
durchbrechbaren Grenzen und Weisungen! Wenn der
Zigeuner - auch der gebildete und vermögende Zi-
geuner - heute noch als Nomade lebt, so folgt er kei-
neswegs nur einem irgendwie vererbten, altertüm-
lichen Wandertrieb, sondern er bekundet damit eine
rassisch-geistige Unfähigkeit zur Weise des seßhaften
Lebens. Denn Seßhaftigkeit ist nicht schon gegeben
mit der äußeren Tatsache eines Bleibens und Fest-
sitzens, sie ist als echte Seinsweise erst dann gegeben,

wenn in der Menschennatur durch das Erwachen des
bewußten Geistes das Organ fürbleibendeBindun-
gen sich gebildet hat, wenn eine höhere, voraus-
schauendere Weise der Lebensbearbeitung möglich
geworden ist, als sie das Abgrasen einer Weide und
das immer wiederholte Aufsuchen neuer, noch unab-
gegraster Weiden darstellt. Wanderleben ist dem
Körper wie dem Geiste recht gesund. Warum geht ein
Deutscher leiblich und seelisch zugrunde, wenn er
sich - etwa aus wissenschaftlichen Beweggründen -
einer in Deutschland herumvagierenden Zigeu-
nertruppe anschließt und ihr nicht beizeiten den
Rücken kehrt? Weil ihn die Geistesform, auf der das
Wandern müssen beruht, auf die Dauer in eine für
ihn überwundene Strukturstufe zurückdrängt und ihn
somit um sein Leben bringt. Europäische Beamte,
selbst Missionare, die in Kolonialgebieten Dienst tun,
müssen Von Zeit zu Zeit nach Europa zurück - keines-
wegs bloß zur Heilung von körperlichen Tropenkrank-
heiten, sondern um wieder in die europäische Men-
schenform zurückzufinden, die ihnen in den Ländern
dunkelhäutiger Menschen allmählich verlorengeht.
Und umgekehrt sind farbige Völker, welche ausstar-
ben, vielfach nicht so sehr an Alkohol, Seuchen, Ver-
knappung der Jagdgründe usw. zugrunde gegangen,
als vielmehr an den tausendfachen, allstündlichen
Anfeindungen ihres Lebens- und Denkgesetzes, welche
der Europäer ihnen zufügen mußte. Kein Mensch
kann bestreiten, daß gewisse Neger- und Indianerkul-
turen der Vergangenheit sehr hochstehende Gebilde
waren; aber sie entsprachen altertümlichen Men-
schenstrukturen, die mit der europäischen keine echte
Verbindung eingehen konnten, und so mußten sie bei
der Begegnung zersplittern. - So enthüllt sich »Stil«
als ein gesetzliches Ergebnis aus einer jeweils be-
stimmten Menschenform und »Weise des Lebens«.
Und die eigentliche Würde aller Wohnraumgestal-
tung liegt darin, daß sie in der wichtigsten, menschen-
nächsten Zone die Menschenform der Nation, und
zwar der Nation in ihrem Stehen Vor Zeit und Wirk-
lichkeit, verteidigt. Freiheit der Kunst wird stets eine
ehrwürdige Losung sein. Aber Freiheit bis zu der
Grenze, daß schlechthin alles tabu sein soll, was
künstlerischen Wert hat, ohne Ansehung der Men-
schenform, auf der es beruht und für die es eintritt -
das hieße die tiefe, die unausweichlich »politische«
Einbettung jeder Gestaltungsarbeit verhängnisvoll
verkennen. Ergeben sich so aus der ethisch-histo-
risch-anthropologischen Bezogenheit des gestalten-
den Schaffens auf der einen Seite Grenzen, so auf
der andern Seite stolze, mächtige Berufung, herrlicher
Dienst, zuverlässige Weisung und strenge Richt-
schnur. Künstler, der du gestaltest, frage die Wirk-
lichkeit deiner Nation, laß deinen Geist von ihr ergrei-
fen und durchwirken, so wird dein Schaffen in ihr
Gesetz einstimmen, sicherer, als wenn du ein erlern-
bares »Programm« zu Rate ziehst. - Wilhelm michel
 
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