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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 22.1907

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Maaß, E.: Der Kampf um Temesa
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https://doi.org/10.11588/diglit.44282#0063
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E. Maaß, Der Kampf um Temesa.

stummen; er ist dann ja auch ausgewandert. Das mehrfach mit topographischen
Abweichungen erzählte lokrische Naturphänomen, nach welchem die Grillen nur
gerade bis her an die Grenze der Lokrer (bald ist diese der Alexfluß, bald der
Kaikinas) zu singen pflegten, während sie drüben im Rheginerlande hartnäckig-
schwiegen, scheint mir nichts anderes sagen zu wollen, als daß es damals keine
Sänger und Dichter in Rhegion zu geben schien oder gab.71 Einen weiteren
Beweis liefert meines Erachtens vielleicht das von Meineke (Comici II I p. 1227 ff.)
und Diels (Parmenides S. 17ff.) erschlossene Lied von der Sagrasschlacht und
der Dioskurenepiphanie, nur daß wohl kein Grund vorliegt, an ein der Ent-
stehung nach kyrenäisches Gedicht zu denken. Warum nicht an ein lokrisches,
bei den Siegern selbst entstandenes? So wird ein altlokrisches Gedicht über den
Kampf im Heroon von Temesa wahrscheinlich genug. Es arbeitete nach bekannten
Typen, z. B. dem Andromeda-Perseusmotiv, wie das Sagrasgedicht Anleihe an die
Telephosgeschichte nach Meinekes und Diels’ Ausführungen gemacht hat. Die
alten einmal glücklich gefundenen Formen wiederholen sich unaufhörlich bewußt
und unbewußt. Man soll nicht mäkeln. Alles wiederholt sich wie im Leben, so
in der Dichtung. Von Themistokles übertrug sich auf Coriolan das Nieder-
sitzen des der Hilfe bedürftigen Ankömmlings am Herde des Feindes oder des
Fremden; der Fremde ist der Feind. Seit die lokrische Dichtung von Euthymos,
die hier erschlossen worden ist, war, ‘war sie, was sie ist; und wie das Gemälde
des Meisters in jeder, auch der spätesten Kopie dem Motive nach unverändert
erscheint’,72 so hat auch die altlokrische Dichtung von Euthymos und der Schönen
in Temesa wohl Veränderungen und sentimentalen Erweiterungen, aber keiner
eigentlichen Umänderung durch Kallimachos unterlegen, in dessen Bearbeitung
sie den Byzantinern der Spätzeit, noch im neunten Jahrhundert, bekannt war
(S. 50). Von der einfachen Größe und dem Schwung und dem Adel der Zeit, die
sie hervorbrachte, zeugt dies ältere Gedicht nicht minder als das Gemälde von
des Euthymos und Alybas’ Kampf um Temesa. Geschichte ist keines von beiden
eigentlich und genau; sie vereinfachen aber, veranschaulichen und vergeistigen
die Geschichte der Dinge nach dem Maße des Empfindens und des Vermögens
ihrer Schöpfer in Formen und Gestalten, welche sich, wer will sagen seit wann,
in das wirkliche Leben des griechischen Volkes verwoben hatten. Beide, Gedicht
und Gemälde, enthalten viel Dichtung und ein Stück Wahrheit aus der großen
Entscheidungszeit für das unteritalische Hellenentum, über welche unsere rein
historische Kunde fast schweigt. Solche Stimmungsbilder von Miterlebenden sind
nicht bloß mehr wert als neue Notizen, sie enthalten voll das Wesen einer Zeit:
wie wir im besonderen das Allgemeine gewahren, wie sich in der vom Sonnen-
licht getroffenen Tauperle golden die Welt abspiegelt.
Marburg i. H. Ernst Maaß.
71) Paus. a. a. O. Strabo VI p. 260, 9, der nach 72) Worte Mommsens ‘Römische Forschungen’ II
einer physikalischen Erklärung sucht. S. 135.

Jahrbuch des archäologischen Instituts XXII.

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