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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 22.1906-1907

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Schumann, Paul: Belgische Bildhauer der Gegenwart, [1]
DOI Artikel:
Rosenhagen, Hans: Aus den Berliner Kunstsalons
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https://doi.org/10.11588/diglit.12155#0088

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-*=43ö> BELGISCHE BILDHAUER DER GEGENWART <ö=^

zu steigern.. Nicht mehr reizt ihn jetzt die
plastische Schönheit, der Zauber der schönen
Formen und die Harmonie der Glieder von
unfehlbarem Rhythmus. Im Gegenteil, er
bekleidet seine Modelle. Er zeigt sie uns,
wie sie sind, wie sie sich in den Straßen
dahinschleppen. „Aber die Lumpen, die sie
bedecken, schänden seine Elenden und Armen
nicht, nein, sie erhöhen sie, weil er bei ihrer
Wiedergabe jede Empfindung des rein Stoff-
lichen, jeden Gedanken an die gemeine Wirk-
lichkeit, jede banale Linie zu vermeiden weiß,
kurz alles, was diese einfache eindringliche
Empfindung nicht fördert." (De Taeye, S. 572.)

DieserCharakteristik entsprechen eine ganze
Reihe seiner Werke: Der Bettler an der
Estakade, Das Kreuz, Das Elend, Der Blinde,
An der Kirchentür, Die mütterliche Sorge. Die
arme magere Proletarierfrau mit der Tochter
im Alter der werdenden Formen ist sein Lieb-

CHARLESSAMUEL DER ACKERBAU

lings-Thema. Kein Künstler vor ihm hat das
Proletarierelend mit gleicher plastischer Kraft
und Eindringlichkeit geschildert. Daneben hat
Charlier auch eine Reihe Gestalten und Szenen
aus dem Leben der Blankenbergher Fischer
dargestellt, darunter als bedeutendstes und
wirklich bedeutendes den „Auszug zum Fisch-
fang", und auch eine Anzahl vortrefflicher,
realistisch aufgefaßter Büsten sind aus einer
Werkstatt hervorgegangen.

(Ein zweiter Teil folgt)

AUS DEN BERLINER KUNSTSALONS

Tn Ed. Schuttes Kunstsalon beginnt die winter-
* liehe Saison mit einer leidlich verheißungs-
vollen Ausstellung, deren künstlerischer Schwer-
punkt eine Kollektion von Arbeiten Axel Galluns
bildet. Der finnische Maler ist einer der wenigen
nordischen Künstler, die restlos über die Pariser
Schule fortgekommen sind und sich in vollkommener
Eigenart zu entwickeln vermocht haben. Er ist heut
sicherlich der erste und beste Künstler seines Landes,
und mit Recht wandelt die junge Generation auf
seinen Bahnen. Seine Ausdrucksweise ist ganz fest
umschrieben. Man könnte sie zeichnerisch nennen,
wenn nicht doch aus dem allgemeinen Eindruck
seiner Schöpfungen ein feiner malerischer Sinn
spräche, wenn nicht seine Studien vor der Natur
dafür zeugten, daß er trotz seiner starken Stilab-
sichten immer doch auf die Nuance achtet und einen
harmonischen Ton erstrebt. Dadurch haben seine
Bilder bei aller Urwüchsigkeit der Auffassung und
der Seltsamkeit der Motive doch stets etwas unge-
mein Kultiviertes. Das großartige Kompositions-
talent Gallens kommt hier am stärksten zur Geltung
in zwei Bildern aus der Kalevala-Sage in den >Sampö-
räubern« und in • Wäinämöinen, Finnland verlassend«.
Welches Studium steckt bei jenem in der Darstellung
der in lebhaften Bewegungen den heiligen Stein beim
Licht der Sterne raubenden halbnackten Männer, und
wie wundervoll ist die Stimmung dieser Nacht ge-
geben! Und so seltsam die Erscheinung des natio-
nalen Heroen auf dem zweiten Bilde anmutet —
welche Schönheit in der Schilderung der über seinen
Fortgang trauernden Menschen und in der Land-
schaft! Die Skizze des »Reitenden Kullerwo« er-
innert an des Künstlers Leistungen für den Finnischen
Pavillon auf der letzten Pariser Weltausstellung.
Ganz wundervoll ist die ausgeführte Studie für die
Gestalt des >wütenden Kullerwo«. Gallen ist einer,
der die Form aufs meisterhafteste beherrscht und
der selbst dem leidenschaftlichen Ausdruck Monu-
mentalität zu geben weiß. Und auf die köstlichste
Weise ist Naturwahrheit und große Auffassung ver-
eint in dem Bilde des >finnischen Bauers-, der in
weißen Hosen und blauer Weste, mit hohen Stiefeln,
pfeiferauchend vor seinem roten Blockhaus steht,
und in drei »Schneestudien« voll Farbigkeit und
Sonne. Man findet ferner ein sehr gelungenes Por-
trät Gorkis, der von einer Lampe beleuchtet, die
Arme auf die Kniee gelegt, jemanden zuzuhören
scheint. Groß und in Stimmung gesehen ist das
Bildnis des Musikdirektors Kajanus, bei dem der
Kopf und ein Sonnenfleckchen an der Wand den
ganzen Menschen geben. Das kleine 1895 in Berlin
gemalte Bildnis Edv. Münchs erinnert an Gallens
Pariser Zeit und Studien und daran, daß er einmal
sein Glück in Deutschland zu finden hoffte. Wie
dürftig und absichtlich wirkt neben diesem reifen

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