HEINRICH ZÜGEL
Von R. Gönner
Allzuviel steht geschrieben über die ästheti-
schen Erfordernisse eines Kunstwerkes.
Allzuviel wird gestritten darüber, was eigent-
lich ein Kunstwerk ist und warum es eines
ist, und warum und wozu es der Künstler so
und nicht anders gemalt hat, wie es zu ver-
stehen sei, und ob und welche Vorkenntnisse
nötig seien, um zum richtigen Verständnis
zu gelangen. Ein Blick in die heutige Kunst-
literatur belehrt uns, daß man versucht, jeder
Kunstart durch langwierige, geistvolle Abhand-
lungen erst ihre Berechtigung zuzusprechen
und jeder Aeußerung einer starken Individuali-
tät nach sorgfältiger Rubrizierung in die be-
stehenden oder eigens zu diesem Zweck zu
schaffenden Schubladen und Kästchen sozu-
sagen die höhere ästhetische Approbation zu
erteilen. Und doch, wer wollte leugnen, daß
in den letzten zwanzig Jahren, der Zeit un-
erhörtesten Aufschwungs, in welcher Neues
lawinengleich auf uns einstürmte, und sich
ein Chaos schwankender Gestalten um uns
bildete, eben diese Kunstliteratur einzelne
starke Persönlichkeiten gezeigt, die als Richt-
punkte in der gärenden Masse und dem wilden
Kampf der Geister dienen können, und uns
damit den Ueberblick und das Verständnis
dieser Entwicklung und ihrer Bedeutung wesent-
lich erleichtert hat. Es ist ein erhebendes
Gefühl, in all diesen Wirrnissen einer Künstler-
natur zu begegnen, die, in sich abgeschlossen,
ihren Weg unbefangen geradeaus weitergeht.
Nicht etwa insofern, als sie dieser Bewegung
unempfindlich oder gar ablehnend gegenüber-
stünde oder daß sie die wertvollen Errungen-
schaften dieser künstlerischen Revolution un-
genützt an sich vorübergehen ließe, sondern
dadurch, daß sie nur für sich verwertet, was
ihrer Individualität entspricht und trotz aller
ihrer Wandlungen immer dieselbe starke Per-
sönlichkeit bleibt. Wenn wir die Kurve des
Aufschwungs der modernen Kunst aufmerk-
sam verfolgen, so treffen wir Heinrich Zügel
immer unter den ersten, die mit freudiger
Die Kunkt für Alle XXII. 10. 15. Februar 1907.
225
Von R. Gönner
Allzuviel steht geschrieben über die ästheti-
schen Erfordernisse eines Kunstwerkes.
Allzuviel wird gestritten darüber, was eigent-
lich ein Kunstwerk ist und warum es eines
ist, und warum und wozu es der Künstler so
und nicht anders gemalt hat, wie es zu ver-
stehen sei, und ob und welche Vorkenntnisse
nötig seien, um zum richtigen Verständnis
zu gelangen. Ein Blick in die heutige Kunst-
literatur belehrt uns, daß man versucht, jeder
Kunstart durch langwierige, geistvolle Abhand-
lungen erst ihre Berechtigung zuzusprechen
und jeder Aeußerung einer starken Individuali-
tät nach sorgfältiger Rubrizierung in die be-
stehenden oder eigens zu diesem Zweck zu
schaffenden Schubladen und Kästchen sozu-
sagen die höhere ästhetische Approbation zu
erteilen. Und doch, wer wollte leugnen, daß
in den letzten zwanzig Jahren, der Zeit un-
erhörtesten Aufschwungs, in welcher Neues
lawinengleich auf uns einstürmte, und sich
ein Chaos schwankender Gestalten um uns
bildete, eben diese Kunstliteratur einzelne
starke Persönlichkeiten gezeigt, die als Richt-
punkte in der gärenden Masse und dem wilden
Kampf der Geister dienen können, und uns
damit den Ueberblick und das Verständnis
dieser Entwicklung und ihrer Bedeutung wesent-
lich erleichtert hat. Es ist ein erhebendes
Gefühl, in all diesen Wirrnissen einer Künstler-
natur zu begegnen, die, in sich abgeschlossen,
ihren Weg unbefangen geradeaus weitergeht.
Nicht etwa insofern, als sie dieser Bewegung
unempfindlich oder gar ablehnend gegenüber-
stünde oder daß sie die wertvollen Errungen-
schaften dieser künstlerischen Revolution un-
genützt an sich vorübergehen ließe, sondern
dadurch, daß sie nur für sich verwertet, was
ihrer Individualität entspricht und trotz aller
ihrer Wandlungen immer dieselbe starke Per-
sönlichkeit bleibt. Wenn wir die Kurve des
Aufschwungs der modernen Kunst aufmerk-
sam verfolgen, so treffen wir Heinrich Zügel
immer unter den ersten, die mit freudiger
Die Kunkt für Alle XXII. 10. 15. Februar 1907.
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