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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 22.1906-1907

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Kesser, Hermann: Rudolf Koller
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https://doi.org/10.11588/diglit.12155#0273

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-^sö> RUDOLF KOLLER <ö=^

zu Beginn der siebziger Jahre befiel und sein
Schaffen empfindlich hemmte. Erst in den
achtziger Jahren kamen Böcklin und Koller
wieder für längere Zeit zusammen. Es war,
als sich Böcklin in der Heimat niederließ,
um in Zürich, wo er sich dann an der heutigen
Böcklinstraße ein Atelier baute, einer seiner
fruchtbarsten Zeiten zu leben. Als Genuß-
froher und Aufrechter kam Kollers Jugend-
freund nach Zürich. Die schwersten Kampf-
jahre lagen hinter ihm und unter behaglichem
Rückschauen auf die dunklen Tage konnte
er sich der Gegenwart freuen.

Ohne Nachricht vorauszuschicken, war er
Ende Oktober 1884 in der Hornau, in Kollers
Wohnhaus am Zürichhorn, erschienen und
hatte Koller mit der Erklärung überrascht,
er sei gekommen, um sich in Zürich anzu-
siedeln, um seinen Söhnen die Wohltat der
trefflichen Bildungsanstalten zuzuwenden.

Als er dann im Frühling 1885 sich mit
der Familie in Zürich eingestellt und die für
ihn erbaute Werkstatt bezogen hatte, ging für
Koller ein neues Leben an und grünte ihm
„eine reiche Saat gehaltvoller Zwiereden und
fördernder Anregungen". „Seit drei Jahr-
zehnten hatte er vom Schicksal den Umgang
eines bedeutenden und ganz selbständigen
Künstlers erfleht. Er hatte geträumt vom
Einklang der Meinungen, vom einträchtigen
Zusammenwandern. Jetzt endlich sah er den
sehnlichen Wunsch erfüllt, zugleich aber die
Erfüllung durch mehr als einen Tropfen Wer-
mut verbittert."

Die beiden Schweizer waren sich einander
als Künstler fremd, Böcklin war zum großen
Mann geworden. Das stimmte Koller nicht
fröhlich und Schatten mußten auf ihr Ver-
hältnis fallen, da Koller der Arbeit des Freun-
des nicht durchaus zustimmte. So urteilte
er Freunden gegenüber:

„In seinem Atelier ist es sehr eigentümlich,
interessant und lehrreich. In diesem Jahr-
hundert hat es keinen originelleren Künstler
gegeben. Mit allen seinen Schrullen, Bizar-
rerien, mit seinen Fehlern in der Zeichnung
und mit seinem unwahren Kolorit ist er kon-
sequent, logisch und in seiner Art auch wahr.
Ein Schöpfer seiner eigenen Welt. Er hat
enorme Erfahrungen in der Technik, wie in
der Gestaltung eines Bildwerkes, das Wissen,
worauf es ankommt, mächtig in Farbe und
Haltung zur vollen- Wirkung zu gelangen.
Vieles ersah er aus alten Glasgemälden. Das
direkte Naturstudium ist ihm kleinlich und
unkünstlerisch. Das künstlerische Produzieren
sei etwas ganz anderes. Es gäbe ihm eine
andere Wahrheit als das Studienmalen . . . .

Was sein Hauptverdienst ausmacht, sind neben
seiner unerschöpflichen Phantasie das Wissen,
wie Bilder zu arrangieren sind, worauf es
ankommt, die Hauptsache zur Geltung zu
bringen ; das verständige Wissen, welche Farben
vor- und welche zurücktreten, wie diese in
der Entfernung wirken usw. Im großen Gegen-
satz zu den Franzosen, die das Alltäglichste,
Nichtigste würdig finden, bildlich darzustellen,
und als Kunstwerk in die Welt zu bringen,
wenn es nur gut gemalt ist, bringt Böcklin
nur entweder sehr aufgeregte, ergreifende
Motive, sei es im Traurigen zum Weinen
Nötigendes, oder zur Lachlust reizend."

Man sieht: Um eine unzweifelhaft klare,
aber keineswegs enthusiastische Urteilsfor-
mung war Koller nicht verlegen.

Seine Worte gewinnen heute durch die an
Böcklin geübte Kritik erhöhte Bedeutung.

So derb der Atelierjargon und so klobig
seine Worte klingen, so ungefügig das Für
und Wider seiner Ansicht verteilt ist, so
richtig hat gerade Böcklins intimer ältester
Freund und Berufsgenosse, der seinem Schaffen
über fünfzigjahre lang folgen konnte und den
künstlerischen Charakter des Basler Roman-
tikers kannte, die Persönlichkeit Böcklins be-
urteilt. Neu ist es nicht, was er über den
großen Romantiker des neunzehnten Jahr-
hunderts zu sagen hat. Aber was er redet,
wird dadurch bedeutend, daß es in einer Zeit
gesprochen wurde, die jetzt zwanzig Jahre
zurückliegt, in einer Zeit, die weder in Haß
noch Liebe das Richtige traf.

Solche und ähnliche Betrachtungen ergeben
sich aus dem Buche von Adolf Frey zu
Dutzenden. Viel kleinbürgerlicher Weltenkram
und viele Nebensachen, die den bedeutenden
Teilen des Buches, bei denen sich weitere und
größere Ausblicke öffnen, der Genauigkeit
halber beigegeben sind, machen es zuweilen
nicht leicht, die Hauptsachen abzuheben. Aber
das Gute ist trotz der Kleinigkeiten, die in
den Kapiteln umherliegen, erkennbar und auf-
findbar. Um zu verstehen, daß es dem Buche
an gewissen Lebendigkeitslücken und an we-
niger farbigen Teilen nicht fehlen konnte, muß
man sich schließlich daran erinnern, daß Koller
nicht so wie Böcklin dem Leben als großer
Artist gegenüberstand als Bildungsallwissender
und als ein Mann, der in Lebensweiten sah.
Auch er ist ein Mensch von interessanten
Umrissen und Bewegungen. Aber alles bleibt
im Rahmen bescheidener Verhältnisse. Freys,
seines Biographen, Kunst erweist sich an der
Tatsache, daß er an diesem Künstlerschicksal
trotzdem so viel originelle Linien zeigen konnte.

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