WIE ICH ZU WHISTLER KAM
F. VON STUCK FRÜHLING (1906)
Mit Genehmigung der Photographischen Union, München
bin und was ich bedeute. Ich weiß es sehr gut, überlegen Sie es sich, ob Sie noch mein Schüler
denn ich bin nicht Künstler allein, ich bin auch werden wollen. Ich korrigiere nicht wie die
ein Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, andern, ich bessere nicht an den Arbeiten meiner
Phantasie, Vernunft, Verstand, geistiges Ver- Schüler herum. Ich gebe nur Ratschläge. Sie
mögen wie sinnliches und künstlerisches, müssen jetzt gehen, denn mich erwartet mein
trennen zu wollen, kann nur einem Trottel ein- Friseur," damit schloß und verabschiedete mich
fallen. Das bin ich nun wirklich nicht. Sie als Whistler.
Deutscher, an denen dieTugend der Bescheiden- Ich arbeitete dann einige Zeit in seinem Lehr-
heit so sehr gelobt wird, werden mich wahr- atelier und hatte noch oft die Freude, ihn zu
scheinlich schrecklich unbescheiden finden. Ich sehen und zu hören. Wenn er ins Atelier kam,
kann Ihnen aber nicht helfen. Ich bins einmal, war er immer geladen mit Paradoxen, so daß
wie ich auch Egoist bin. Jeder Künstler ist ich schließlich den Eindruck gewann, daß er
Egoist. Muß es sein. Das ist Naturgesetz. Jeder nur dann erschien, wenn er über einen Vorrat
große Künstler läßt in erster Linie nur sich geistiger Raketen verfügte. Vieles von dem, was
gelten. Denken sie an die Stellung, die Michel- er uns im Atelier sagte, hat er auch nieder-
angelo gegenüber da Vinci einnahm. Schwache geschrieben und veröffentlicht, manches, wie
Leistungen lehnt der Meister erbarmungslos ab. die mir gegenüber gemachten Aeusserungen,
Mit Recht. Mitleid mag im Leben eine Tugend dürfte unbekannt sein. Ich stelle es Ihrem
sein, in der Kunst ist es ein Laster. Des Meisters Belieben anheim meine Begegnung mit Whistler,
eigener Schaffenstrieb überwuchert alle Mög- und die von ihm bei dieser Gelegenheit ge-
lichkeit der Aufnahmsfähigkeit fremder Hervor- sprochenen Worte, in der Ihnen passend
bringungen. Jede starke Persönlichkeit läßt nur dünkenden Form der Oeffentlichkeit zu unter-
das ihr Wesensgemäße gelten. Mit Recht. — breiten."
Notieren Sie all das, was ich Ihnen sagte. Sie Dies ist nun mit Vorstehendem geschehen,
werden es noch brauchen können. Und nun
20
F. VON STUCK FRÜHLING (1906)
Mit Genehmigung der Photographischen Union, München
bin und was ich bedeute. Ich weiß es sehr gut, überlegen Sie es sich, ob Sie noch mein Schüler
denn ich bin nicht Künstler allein, ich bin auch werden wollen. Ich korrigiere nicht wie die
ein Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, andern, ich bessere nicht an den Arbeiten meiner
Phantasie, Vernunft, Verstand, geistiges Ver- Schüler herum. Ich gebe nur Ratschläge. Sie
mögen wie sinnliches und künstlerisches, müssen jetzt gehen, denn mich erwartet mein
trennen zu wollen, kann nur einem Trottel ein- Friseur," damit schloß und verabschiedete mich
fallen. Das bin ich nun wirklich nicht. Sie als Whistler.
Deutscher, an denen dieTugend der Bescheiden- Ich arbeitete dann einige Zeit in seinem Lehr-
heit so sehr gelobt wird, werden mich wahr- atelier und hatte noch oft die Freude, ihn zu
scheinlich schrecklich unbescheiden finden. Ich sehen und zu hören. Wenn er ins Atelier kam,
kann Ihnen aber nicht helfen. Ich bins einmal, war er immer geladen mit Paradoxen, so daß
wie ich auch Egoist bin. Jeder Künstler ist ich schließlich den Eindruck gewann, daß er
Egoist. Muß es sein. Das ist Naturgesetz. Jeder nur dann erschien, wenn er über einen Vorrat
große Künstler läßt in erster Linie nur sich geistiger Raketen verfügte. Vieles von dem, was
gelten. Denken sie an die Stellung, die Michel- er uns im Atelier sagte, hat er auch nieder-
angelo gegenüber da Vinci einnahm. Schwache geschrieben und veröffentlicht, manches, wie
Leistungen lehnt der Meister erbarmungslos ab. die mir gegenüber gemachten Aeusserungen,
Mit Recht. Mitleid mag im Leben eine Tugend dürfte unbekannt sein. Ich stelle es Ihrem
sein, in der Kunst ist es ein Laster. Des Meisters Belieben anheim meine Begegnung mit Whistler,
eigener Schaffenstrieb überwuchert alle Mög- und die von ihm bei dieser Gelegenheit ge-
lichkeit der Aufnahmsfähigkeit fremder Hervor- sprochenen Worte, in der Ihnen passend
bringungen. Jede starke Persönlichkeit läßt nur dünkenden Form der Oeffentlichkeit zu unter-
das ihr Wesensgemäße gelten. Mit Recht. — breiten."
Notieren Sie all das, was ich Ihnen sagte. Sie Dies ist nun mit Vorstehendem geschehen,
werden es noch brauchen können. Und nun
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