A. RODIN
RELIEF VOM HOLLEN TOR
AUGUSTE RODIN*)
Von Otto Grautoff
Auguste Rodin ist der reinste und um- Skulptur erregt werden, so sind wir Grübler und
fassendste Bildhauer des gegenwärtigen Träumer leicht geneigt, die Erregung losgelöst
Frankreichs. Alle natürlichen Anlagen der vom formalen Gesichtseindruck auf den Aus-
französischen Nation wirken in ihm, haben in druck einer philosophischen Weltanschauung
ihm ihre Kräfte aufs höchste entfaltet, so daß zurückzuführen. Wir sehen zwei Körper in
besonders sein Werk als Frucht _ inniger Umschlingung mit süß-
des ganzen Volkes betrachtet ^^^■febN|. glücklichen Gesichtszügen und
werden darf. sagen: hier ist das Glück zweier
Unter konservativen Tenden- Menschen dargestellt, die selig
zen w uchsen der Mensch und der \ A s'cn endlich gefunden. Seht, in
Künstler auf. Als Realist und ^KKflflSp ^:jm schmerzlich verzogenen
Rationalist entwickelte er seine nl^^p Mund wird es deutlich, daß sie
Bildung und sein Leben. Mit der IM rfB^^K vorher viel litten oder daß ihr
Unbefangenheit und Vorurteils- jdfl *. I Glück nur von kurzer Dauer sein
losigkeit eines echten Franzosen V Wl wird. Unsere Grüblernatur, un-
durchdrang er die Sinnenwelt. 1 sere Grenzenlosigkeit erfindet
Geschmack und eine ruhige ' sogleich eine Vor-und Nachge-
Selbstsicherheit leiteten ihn, ver- \\1 Bi\ schichte dieses Paares, erdichten
ließen ihn niemals. Das köst- S^^' s'cn philosophische Vor- und
liehe, lateinische Formbewußt- Hintergedanken, sehen in Rodin
sein, das auch in ihm lebendig ist, gab ihm in einen Apostel des Liebesglückes, einen Welt-
jedem Tumult von Empfindungen Halt, ver- weisen und vergessen beinahe, daß er Bild-
mittelte ihm die Kraft in jeder Aeußerung seiner hauer ist. Das ist eine irrtümliche Betrach-
pathetischen Sensibilität das Maß zu bewahren. tungsart seiner Skulptur, ein falscher Weg
Wenn wir Deutschen von einer Rodinschen sich ihm zu nähern. Dieser Bewunderung wird
*) s. auch unseren Rodinaufsatz in Jahrgang 1904/5, Aprilheft. der Meister selbst ungeduldig; er will, wollte
Die Kunst für Alle XXVI. s. 15. Oktober vga»
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RELIEF VOM HOLLEN TOR
AUGUSTE RODIN*)
Von Otto Grautoff
Auguste Rodin ist der reinste und um- Skulptur erregt werden, so sind wir Grübler und
fassendste Bildhauer des gegenwärtigen Träumer leicht geneigt, die Erregung losgelöst
Frankreichs. Alle natürlichen Anlagen der vom formalen Gesichtseindruck auf den Aus-
französischen Nation wirken in ihm, haben in druck einer philosophischen Weltanschauung
ihm ihre Kräfte aufs höchste entfaltet, so daß zurückzuführen. Wir sehen zwei Körper in
besonders sein Werk als Frucht _ inniger Umschlingung mit süß-
des ganzen Volkes betrachtet ^^^■febN|. glücklichen Gesichtszügen und
werden darf. sagen: hier ist das Glück zweier
Unter konservativen Tenden- Menschen dargestellt, die selig
zen w uchsen der Mensch und der \ A s'cn endlich gefunden. Seht, in
Künstler auf. Als Realist und ^KKflflSp ^:jm schmerzlich verzogenen
Rationalist entwickelte er seine nl^^p Mund wird es deutlich, daß sie
Bildung und sein Leben. Mit der IM rfB^^K vorher viel litten oder daß ihr
Unbefangenheit und Vorurteils- jdfl *. I Glück nur von kurzer Dauer sein
losigkeit eines echten Franzosen V Wl wird. Unsere Grüblernatur, un-
durchdrang er die Sinnenwelt. 1 sere Grenzenlosigkeit erfindet
Geschmack und eine ruhige ' sogleich eine Vor-und Nachge-
Selbstsicherheit leiteten ihn, ver- \\1 Bi\ schichte dieses Paares, erdichten
ließen ihn niemals. Das köst- S^^' s'cn philosophische Vor- und
liehe, lateinische Formbewußt- Hintergedanken, sehen in Rodin
sein, das auch in ihm lebendig ist, gab ihm in einen Apostel des Liebesglückes, einen Welt-
jedem Tumult von Empfindungen Halt, ver- weisen und vergessen beinahe, daß er Bild-
mittelte ihm die Kraft in jeder Aeußerung seiner hauer ist. Das ist eine irrtümliche Betrach-
pathetischen Sensibilität das Maß zu bewahren. tungsart seiner Skulptur, ein falscher Weg
Wenn wir Deutschen von einer Rodinschen sich ihm zu nähern. Dieser Bewunderung wird
*) s. auch unseren Rodinaufsatz in Jahrgang 1904/5, Aprilheft. der Meister selbst ungeduldig; er will, wollte
Die Kunst für Alle XXVI. s. 15. Oktober vga»
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