Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

DOI Artikel:
Ingres, Jean-Auguste-Dominique: J. A. D. Ingres: Aussprüche und Anekdoten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0130

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J. A. D. INGRES

ihn kam nur die hohe Kunst in Frage — mochten Meister kam, grüßte kurz und trat vor die Staffelei
alle andern sich auch an dem Tanz und dem Nea- eines Neuen, der nach dem lebenden Modell einen
politaner erfreuen. Duret fühlte sich unbehaglich furchtbaren Akt verbrach. Ernst, ja bekümmert prüft
und fing an sich zu entschuldigen, redete von der der Lehrer das Machwerk, endlich zählt er lang-
Notwendigkeit, das Publikum zu interessieren, die sam: Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs! Dann sieht
Verkauflichkeit zu ermöglichen u. dergl. — Unter er nach dem Modell hinüber und zählt: Ein, zwei,
welchen Bedingungen arbeiten Sie? fragte Ingres. drei, vier, fünf! Keinen mehr! Mein lieber Junge,
Leben Sie ausschließlich von Ihrem Erwerb oder der rechte Fuß Ihres Hampelmanns hat sechs Zehen;
haben Sie noch andere Hilfsquellen ? — Duret er- bei dem Modell sehe ich ihrer aber nur fünf. Also
widerte, er habe immer ein anständiges Vermögen einer von uns muß sich irren, ich, Sie oder das
besessen, er könne sich seinem Beruf widmen unab- Modell. — Der junge Mann, rot bis an die Ohren,
hängig von materiellen Sorgen, denn er habe eine weiß nicht, wohin er sich wenden soll, als Ingres
Revenue von etwa zwölftausend Francs. — Herr! ganz gemütlich anhebt: Sind Sie aus Paris oder aus
rief Ingres streng und schritt dem Ausgang zu, wenn der Provinz? — Aus Limoges, Monsieur. — Aus
man mit zwölftausend Francs Rente bildhauert, so Limoges! Sie sind aus Limoges! Eine berühmte,
zieht man seinen Statuen keine Unterhosen an." eine reizende Stadt, die alte civitas Levomicum,

* einst Sitz der römischen Prokonsuln, heute der eines
Vor den Heiligengestalten Hippolyte Flandrins ruft Bischofs, einer Universität . . . Und was treibt man

Ingres seinem großen Schüler zu: „Ach, Sie müssen sie in Ihrer Familie? Welchen Beruf hat Ihr Herr Vater?
alle gesehen haben auf ihrem Weg zum Paradiese ... — Er ist Richter. — Ihr Herr Vater ist Richter?
und Sie werden mit ihnen hineinkommen!"' Ach, was für ein schöner, ehrbarer Beruf! Sie sind

* wohl sehr stolz auf einen solchen Vater, nicht wahr?
„Der Meister kommt!" riefen eines Tages die in — 0 gewiß, Monsieur! — Nun, warum folgen Sie

Ingres' Atelier versammelten Schüler, und ein jeder dann nicht lieber seinem Beispiel, als daß Sie Maler
machte sich schleunigst an seine Arbeit. Ja, der werden \vollen? — Der Meister sprach's und ging

zu einem andern Schüler.
*

Eines Tages bringt ein Tröd-
ler eine kleine Leinwand, die In-
gres sogleich als Ausschnitt aus
einem Gemälde von Velasquez
erkennt. Außer sich vor Bewun-
derung sowohl wie vor Entrü-
stung fährt Ingres den Mann an:
„Sie Elender, Sie infamer Dumm-
kopf, Sie begehen das namenlose
Verbrechen, ein solches Werk
zu verstümmeln ? ..." Der er-
schrockene Trödler macht sich
eiligst aus dem Staube. „Das da
hat mich nicht viel gekostet",
sagte Ingres später; „der Kerl hat
sich nie wieder sehen lassen."


Ein echter Pariser kommt aus
dem Vatikan, wo er „einen Blick
in die stanze getan" hat. „Sie
mögen sagen, was Sie wollen,
sagt er leichthin, aber Raffael
ist nicht mein Mann." Ingres,
damals Direktor der Französi-
schen Akademie in Rom, schnei-
det ihm das Wort ab mit einem
einfachen: „Das schadet nichts!''


Als Stendhal zum erstenmal
in der Villa Medici empfangen
wurde, kam das Gespräch auf
klassische Musik, die Ingres
leidenschaftlich liebte. Stendhal
äußerte peremtorisch: „Beetho-
vens Musik ist nicht melodiös."
Ingres kehrte ihm den Rücken,
stieg zum Pförtner der Villa
hinab und bedeutete ihm: „Für
den Herrn bin ich nie mehr zu
Hause." emr

C. VON MARR WEIBLICHER AKT (ZEICHNUNG) * « *

112
 
Annotationen