Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

DOI Artikel:
Haendcke, Berthold: Die historischen Grundlagen der Hell- und Freilichtmalerei, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0227

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE HISTORISCHEN GRUNDLAGEN DER HELL- UND FREILICHTMALEREI

ELISABETH N O URSE PROZESSION IN DER BRETAGNE

Schwarmgeiste gereinigt. Der Protestantismus
und der neuzeitliche Katholizismus suchten die
alte Innerlichkeit des christlichen Prinzips wie-
der zur Geltung zu bringen. Das Reich der
Stimmung war gewaltig erweitert, gesünder ge-
worden, und der menschliche Geist unendlich
bereichert. Der Verstand des Menschen von der
Scholastik befreit, griff die größten Fragen der
Natur an, die Naturwissenschaft entstand, und
die Musik hatte das Material gefunden, welches
die Tiefen der Seele unmittelbar zum Aus-
druck bringen kann. Diese riesige Entwick-
lung des Individuums, der Völkerindividuen,
verlangte auch nach malerischer Verdolmet-
schung. Die Ton-, die Lichtmalerei sollte und
mußte Antwort geben, Rede stehen. Sie mußte
dienen, wollte sie in die jetzt durch breit und
hoch in die Mauern geschnittene Fenster von
hellem Licht erfüllten Räume entsprechende
Gemälde hineinstellen.

Das 18. Jahrhundert schritt ganz entschieden
zur Hellfärbigkeit voran. Die Malerei der
Rokokozeit mußte aus denselben soeben skiz-
zierten allgemeinen Gründen wie aus den be-
sonderen baulichen Verhältnissen zu immer
helleren und zarteren Farben neigen; denn
die „Schildereien" bilden auch einen Bestand-
teil der gesamten Innenausstattung. Sie können
sich niemals zu dieser in einen grundsätz-
lichen Gegensatz stellen.

Die hohen, mächtigen Fenster, die die Ge-
bäude des späteren Barock und des Rokoko
zu Glashäusern umbilden, die feuchte, licht-
erfüllte Atmosphäre, der gesunde alteinge-
bürgerte koloristische Sinn haben Venedig
befähigt, die malerischen Konsequenzen aus
der Licht- und Hellmalerei zu ziehen, d. h.
zum Malen der atmosphärisch gebrochenen
Farben zu gelangen.

Tiepolo ist keineswegs der einzige, aber der

205
 
Annotationen