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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Oettingen, Wolfgang von: Die Wandgemälde von Raffael Schuster-Woldan im Reichstagsgebäude
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0312

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DIE WANDGEMÄLDE VON RAFFAEL SCHUSTER-WOLD AN IM REICHSTAGSGEB AU DE

zu können, daß wenigstens der Bundesratsaal jetzt
endlich ein künstlerisches Ganzes, und zwar von
großer Schönheit, darstellt — nur noch einige Um-
färbungen der Holzpaneele, die ihn umziehen, viel-
leicht auch einige andere Umtönungen hier und da:
und seine Harmonie wird vollkommen sein.

Man erinnert sich, daß Raffael Schuster-
Woldan schon vor einigen Jahren die Decke dieses
Saales ausgemalt hat. Er löste damit eine Aufgabe,
deren Schwierigkeit allenfalls nur noch von der ihrer
Fortsetzung, nämlich der Bemalung der Wände über
den Paneelen, übertroffen werden konnte. Die
Schwierigkeit lag zunächst in der ungünstigen Be-
leuchtung: der Saal nimmt eine der Ecken des
Gebäudes ein und erhält sein Licht durch zwei
sehr große Fenster von zwei Seiten; auch war die
elektrische Beleuchtung zu berücksichtigen — aber
noch schwerer war der Goldglanz der überaus
reichen und massiven Holzdecke zu überwinden.
Dieses wuchtige Rahmenwerk, das etwa im vene-
zianischen Dogenpalast seinesgleichen findet und
ein achteckiges Mittelfeld, umgeben von acht
kleinen, unbequem geformten Feldern, bildet,
mußte mit unsäglicher Mühe durch Dämpfen
und Erhöhen seiner Vergoldung zur Aufnahme
der Gemälde geeignet gemacht werden, und die
Gemälde hatten sich ihm gegenüber zu behaupten
und zugleich die ganze Decke leichf und luftig er-
scheinen zu lassen. Natürlich konnte es sich bei
ihnen nur um möglichst freie, allegorische Gegen-

stände handeln, bei deren Ausgestaltung der Künstler
ohne die Verpflichtung, über Bedeutung, Tätigkeit,
Vernunft und Zusammenhang seiner Figuren Rechen-
schaft abzulegen, seinem Linien-, Formen- und
Farbensinn genugtun durfte, soweit die Felder dies
zuließen und Licht und Gold es erlaubten. So ent-
stand ein im Mittelbilde helleres, an den Seiten und
in den Ecken der Decke in dunkleren Farben ge-
haltenes System anmutiger, größtenteils rätselhafter
Gruppen, wie man sie auch auf den Staffeleibildern
des empfindsamen, unbedenklich raffinierenden und
die Natur mit einer gewissen edlen Verschlagenheit
zugunsten seiner vorschwebenden Ideale meistern-
den Künstlers sieht; ein merkwürdiger Olymp von
zeitlosen Geschöpfen, deren Heimat weder Venedig,
noch England, noch Frankreich ist — wie die ver-
muten, die nach Eklektizismus spüren — sondern
einzig die üppige Phantasie ihres Schöpfers, der
viel zu eigensinnig seine Wege verfolgt, als daß er
sich fremden Grundsätzen anpassen sollte. Es
dürfte wirklich schwer sein, ihm tatsächlich Ent-
lehnungen oder auch nur Nachahmungen nachzu-
weisen; was ihn in den Verdacht der Altertümelei
bringt, ist wohl eigentlich der Umstand, daß er sich
keiner modernen Richtung angeschlossen fühlt.

Als nun die Decke, in Gold- und Farbenpracht,
mit energischen Architekturlinien und sanft ge-
schwungenen Leibern prangte, da konnte der grüne
Damast, der immer noch über den Paneelen die
Wände bezog, das Gewicht der neuen Schöpfung

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