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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Vollmer, Hans: Schein und Wirklichkeit in der Kunst: eine ästhetische Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0410

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SCHEIN UND WIRKLICHKEIT IN DER KUNST

schießung des Kaisers Maximilian, der Clou der zu, daß die Soldaten falsch visieren und „die
letztjährigen Berliner Secessions- Ausstellung, Kugeln ihre unglücklichen Opfer kaum (!) ge-
hat bei aller Bewunderung, die dem Bilde zuteil troffen haben würden". Aber er erblickt hie-
geworden ist,doch einen häufigen Vorwurf hören rin einen Fehler nur vom militärtechnischen,
müssen: daß die Soldaten an dem Kaiser vorbei- nicht vom künstlerischen Standpunkt aus. Be-
schössen. Dieser Vorwurf bestand sicherlich zu wüßt opferte Manet, so argumentiert Lieber-
Recht, wovon sich jeder schon angesichts einer mann, die Richtigkeit formalen künstlerischen
Schwarz-Weiss-Reproduktion überzeugen kann; Rücksichten; er brauchte für seine Komposi-
ebenso sicher aber ist, daß Manet selbst diesen tion die unverkürzten Horizontalen der Ge-
„ Fehler" gesehen hat, er also als ein gewiß beab- wehrläufe und so durfte er die mechanische
sichtigter betrachtet werden muß. Die gewichtige Logik ignorieren. Alles das zugegeben, was
Stimme Max Liebermanns hat letzthin Manet Liebermann von den durch diese „Inkorrekt-
gegen diesen Einwand der „naseweisen" Kritik heit" für die Komposition gewonnenen Vor-
in Schutz genommen. *) Auch Liebermann gibt teilen sagt. Aber wirkt es nicht auf das
•) Kunsi und Künstler, >hrK. viii, Heft io normal ausgebildete Auge beleidigend, die me-

chanische Operation des
Schießens, die doch schließ-
lich der Inhalt des Bildes ist,
in den Bedingungen ihrer
Wirkung wieder vollkom-
men illusorisch gemacht zu
sehen ! Den Kontakt zwi-
schen Ursache und Wirkung
aufgehoben zu finden! Es ist
doch Beweis genug, daß auch
derrichtige Schein, deraller-
dings einzig für die Kunst
gilt, nicht erreicht ist, sobald
die Ignorierung der realen
Verhältnisse vor dem Bilde
selbst überhaupt fühlbar
wird. Die Reaktion des kul-
tivierten Auges kann allein
darüber entscheiden, wie-
weit die Natur in dieser Hin-
sicht vergewaltigt werden
darf. Wenn der Künstler
nicht so viel Suggestions-
kraft zu entwickeln imstande
ist, daß er uns über die
Nichtbeachtung der Wirk-
lichkeit seinerseits ohne wei-
teres hinwegtäuscht, so liegt
in dieser Opponierung der
Netzhaut bereits die Kritik
ausgesprochen.

Wer einen tieferen Ein-
blick in die Kunst der ver-
gangenen Zeiten getan hat,
weiß, daß Lizenzen ganz ana-
loger Art, wie Manet sie ris-
kiert hat, auch früher schon
gepflogen wurden — nur mit
dem Unterschiede, daß der
Gustav jagersbacher gefangener Effekt ein anderer war. Ge-

Frühjahr-Ausstellung der Münchner Secession Täde die Zeiten der kÜnSt-

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