HUGO VON TSCHUDI UND DIE SAMMLUNG NEMES
leidenschaft, der es um Vollständigkeit zu tun
ist, sondern mit der erregten Hingabe des
temperamentvollen Kunstfreundes, der nur da,
aber da rasch, zugreift, wo sein künstlerisches
Empfinden in starke Schwingungen versetzt
wurde." Und das geschieht bei Nemes alle-
mal dann, wenn es sich um ein „impressio-
nistisches" Werk handelt. Daher ist diese
Sammlung auch sozusagen programmatisch, sie
ist „die Sammlung eines Freundes des Im-
pressionismus, eines, der den Impressionismus
nicht als Programm, sondern als Erlebnis an
sich erfahren hat. Auf dieser Linie liegen die
Tintorettos, die Grecos, die Goyas und die
französischen Impressionisten. Glänzend ist
der spanische Grieche vertreten, denn Nemes
hat mit Geschick die seltene Gelegenheit be-
nützt, daß noch in unsern Tagen ein alter
Meister gewissermaßen erst entdeckt wird, nahe-
zu seine sämtlichen Bilder sich also noch in
erster Hand befinden, um Erwerbungen zu
machen, die von den Kunsthändlern noch kaum
ernstlich in die Höhe getrieben waren. Man
denke sich, welche Chance es für einen auf-
geweckten Kunstfreund wäre, wenn jetzt plötz-
lich Rembrandts „Staalmeesters" oder die
„Braunschweiger Familie" oder der „Verlorene
Sohn" der Ermitage auf den Markt kämen,
ohne daß sofort die großen Galerien und
Sammler die neuen Erscheinungen zu würdi-
gen vermöchten. Indes was Greco Nemes ge-
geben, hat er reichlich von ihm zurücker-
halten. Ich glaube kaum, daß der enthusiasti-
sche Marquis de la Vega Inclan, auf dessen
Veranlassung die Casa del Greco in Toledo
geschmackvoll mit Bildern des Meisters und
mit Möbeln aus seiner Zeit ausgestattet wurde,
oder der treffliche Cossio mit seiner fleißigen
Biographie annähernd so viel zum Verständnis
des großen Spaniers beigetragen haben, als
es hier durch die einfache Nebeneinander-
rückung seiner Werke und einer Reihe fran-
zösischer Bilder des 19. Jahrhunderts ge-
schieht, in denen verwandte künstlerische Tem-
peramente ähnlichen malerischen Problemen
nachgehen. Und hierbei zeigt sich wieder,
daß die großen Franzosen des 19. Jahrhunderts,
die die Entwicklung der europäischen Malerei
mit scheinbar revolutionären Impulsen weiter-
führten, gleichzeitig die Bewahrer der edelsten
malerischen Kultur der vergangenen Jahrhun-
derte sind."
Damit ist zugleich das Substantielle der
Sammlung Nemes umrissen, und wir haben
nur erstaunt zu konstatieren, wie zahlreiche
Meister als Propheten oder Ahnen des Im-
pressionismus reklamiert werden. Tintoretto,
Greco, Rembrandt, Goya, Constable in dieser
Reihe zu finden, ist uns sicher nicht erstaun-
lich. Merkwürdiger aber berührt uns die Prä-
senz von Tizian und Rubens, von Cuyp,
Hobbema, de Keyser, Teniers und namentlich
von Giampietrino, dessen reizvolle kleine Ma-
donna eine Perle der Sammlung ist. Für
Nemes scheint der Begriff „Impressionismus"
tatsächlich so dehnbar zu sein, wie ihn Georg
Biermann in einem Aufsatz über die Buda-
pester Aufstellung der Sammlung Nemes faßt:
„Er bedeutet im höchsten Sinne die Kultur
der Farbe auf Grund der vereinfachten For-
mensprache, die großzügige Energie im wahr-
haft Artistischen, die keine anderen Gesetze
kennt, als sie das geschärfte Auge der leben-
digen Natur entnimmt." Beanspruchen die
Historiographen des Impressionismus doch
selbst die pompejanischen Wandmalereien und
die ravennatischen Mosaiken für ihre Richtung!
Die Wand mit den acht Werken Grecos
(zu denen sich als neuntes die im Besitz der
Pinakothek befindliche „Verspottung Christi"
von Greco gesellt) produziert tatsächlich eine
ausgesprochener impressionistische Wirkung,
als das selbst die modernen Franzosen ver-
mögen, die, an einer schmalen Wand zusam-
mengehängt, viel weniger aufreizend wirken
als der kretische Toledaner. Unsere Begriffe
von einem alten Meister als einem abgeklär-
ten, gewissermaßen langweilig-stolzen Wert
wirft Greco über den Haufen. Das prasselt
und zischt vor Modernität. Nun glauben wir
es gern, daß der französische Impressionismus
sich auf Greco als auf seinen charakteristi-
schen Vorläufer bezieht. Indessen erreicht
ihn von diesen allen keiner an Leuchtkraft
der Farbe und an Kühnheit des koloristischen
Ensembles. Am ehesten darf man noch Re-
noirs Frauenbildnis als den Ausfluß eines
ähnlich leidenschaftlichen Künstlertempera-
ments bezeichnen. Corots Porträt der Mme.
Gambey (La songerie de Mariette) wirkt neben
Grecos Inquisitor-Kardinal fast antiquiert, still
und verhalten wie eine Porträtbüste aus kaltem,
weißen Marmor. Und an Farbenbouquet ist
beispielsweise Grecos „Oelberg" der „Rue de
Berne" von Manet, die aus der Sammlung
Pellerin zu Nemes kam, unbedingt überlegen...
Schreihälse, die scheltend auf die koloristische
Brutalität der französischen Impressionisten
losfahren, können angesichts dieses lehrreichen
Nebeneinanders das Schweigen lernen. Und in-
soferne lassen sich Tschudis Auseinander-
setzungen über die Beziehungen von alter und
498
leidenschaft, der es um Vollständigkeit zu tun
ist, sondern mit der erregten Hingabe des
temperamentvollen Kunstfreundes, der nur da,
aber da rasch, zugreift, wo sein künstlerisches
Empfinden in starke Schwingungen versetzt
wurde." Und das geschieht bei Nemes alle-
mal dann, wenn es sich um ein „impressio-
nistisches" Werk handelt. Daher ist diese
Sammlung auch sozusagen programmatisch, sie
ist „die Sammlung eines Freundes des Im-
pressionismus, eines, der den Impressionismus
nicht als Programm, sondern als Erlebnis an
sich erfahren hat. Auf dieser Linie liegen die
Tintorettos, die Grecos, die Goyas und die
französischen Impressionisten. Glänzend ist
der spanische Grieche vertreten, denn Nemes
hat mit Geschick die seltene Gelegenheit be-
nützt, daß noch in unsern Tagen ein alter
Meister gewissermaßen erst entdeckt wird, nahe-
zu seine sämtlichen Bilder sich also noch in
erster Hand befinden, um Erwerbungen zu
machen, die von den Kunsthändlern noch kaum
ernstlich in die Höhe getrieben waren. Man
denke sich, welche Chance es für einen auf-
geweckten Kunstfreund wäre, wenn jetzt plötz-
lich Rembrandts „Staalmeesters" oder die
„Braunschweiger Familie" oder der „Verlorene
Sohn" der Ermitage auf den Markt kämen,
ohne daß sofort die großen Galerien und
Sammler die neuen Erscheinungen zu würdi-
gen vermöchten. Indes was Greco Nemes ge-
geben, hat er reichlich von ihm zurücker-
halten. Ich glaube kaum, daß der enthusiasti-
sche Marquis de la Vega Inclan, auf dessen
Veranlassung die Casa del Greco in Toledo
geschmackvoll mit Bildern des Meisters und
mit Möbeln aus seiner Zeit ausgestattet wurde,
oder der treffliche Cossio mit seiner fleißigen
Biographie annähernd so viel zum Verständnis
des großen Spaniers beigetragen haben, als
es hier durch die einfache Nebeneinander-
rückung seiner Werke und einer Reihe fran-
zösischer Bilder des 19. Jahrhunderts ge-
schieht, in denen verwandte künstlerische Tem-
peramente ähnlichen malerischen Problemen
nachgehen. Und hierbei zeigt sich wieder,
daß die großen Franzosen des 19. Jahrhunderts,
die die Entwicklung der europäischen Malerei
mit scheinbar revolutionären Impulsen weiter-
führten, gleichzeitig die Bewahrer der edelsten
malerischen Kultur der vergangenen Jahrhun-
derte sind."
Damit ist zugleich das Substantielle der
Sammlung Nemes umrissen, und wir haben
nur erstaunt zu konstatieren, wie zahlreiche
Meister als Propheten oder Ahnen des Im-
pressionismus reklamiert werden. Tintoretto,
Greco, Rembrandt, Goya, Constable in dieser
Reihe zu finden, ist uns sicher nicht erstaun-
lich. Merkwürdiger aber berührt uns die Prä-
senz von Tizian und Rubens, von Cuyp,
Hobbema, de Keyser, Teniers und namentlich
von Giampietrino, dessen reizvolle kleine Ma-
donna eine Perle der Sammlung ist. Für
Nemes scheint der Begriff „Impressionismus"
tatsächlich so dehnbar zu sein, wie ihn Georg
Biermann in einem Aufsatz über die Buda-
pester Aufstellung der Sammlung Nemes faßt:
„Er bedeutet im höchsten Sinne die Kultur
der Farbe auf Grund der vereinfachten For-
mensprache, die großzügige Energie im wahr-
haft Artistischen, die keine anderen Gesetze
kennt, als sie das geschärfte Auge der leben-
digen Natur entnimmt." Beanspruchen die
Historiographen des Impressionismus doch
selbst die pompejanischen Wandmalereien und
die ravennatischen Mosaiken für ihre Richtung!
Die Wand mit den acht Werken Grecos
(zu denen sich als neuntes die im Besitz der
Pinakothek befindliche „Verspottung Christi"
von Greco gesellt) produziert tatsächlich eine
ausgesprochener impressionistische Wirkung,
als das selbst die modernen Franzosen ver-
mögen, die, an einer schmalen Wand zusam-
mengehängt, viel weniger aufreizend wirken
als der kretische Toledaner. Unsere Begriffe
von einem alten Meister als einem abgeklär-
ten, gewissermaßen langweilig-stolzen Wert
wirft Greco über den Haufen. Das prasselt
und zischt vor Modernität. Nun glauben wir
es gern, daß der französische Impressionismus
sich auf Greco als auf seinen charakteristi-
schen Vorläufer bezieht. Indessen erreicht
ihn von diesen allen keiner an Leuchtkraft
der Farbe und an Kühnheit des koloristischen
Ensembles. Am ehesten darf man noch Re-
noirs Frauenbildnis als den Ausfluß eines
ähnlich leidenschaftlichen Künstlertempera-
ments bezeichnen. Corots Porträt der Mme.
Gambey (La songerie de Mariette) wirkt neben
Grecos Inquisitor-Kardinal fast antiquiert, still
und verhalten wie eine Porträtbüste aus kaltem,
weißen Marmor. Und an Farbenbouquet ist
beispielsweise Grecos „Oelberg" der „Rue de
Berne" von Manet, die aus der Sammlung
Pellerin zu Nemes kam, unbedingt überlegen...
Schreihälse, die scheltend auf die koloristische
Brutalität der französischen Impressionisten
losfahren, können angesichts dieses lehrreichen
Nebeneinanders das Schweigen lernen. Und in-
soferne lassen sich Tschudis Auseinander-
setzungen über die Beziehungen von alter und
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