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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Raupp, Karl: Künstlerleben der sechziger Jahre auf dem Lande und in der Stadt, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0586

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KÜNSTLERLEBEN DER SECHZIGER JAHRE AUF DEM LANDE UND IN DER STADT

men, aufgelegt zu jedem Scherz.
Wenn es dann Zeit war, zur ver-
dienten Nachtruhe nach oben in den
Bleikammern zu verschwinden,
dann zündete die dicke Amalie,
des Hauses älteres Faktotum und
Kellnerin die zwanzig Kerzen, in
vorweltlichen, großen hölzernen
Leuchtern steckend, an und der
Fackelzug war fertig. Einer hinter
dem andern, jeder mit seinem bren-
nenden Licht in der Hand, ging es
durch das ganze Haus, wohin über-
all, will ich gar nicht verraten, mit
dröhnendem Gesang, der versicherte
,,Und so wollen wir durch das Leben
gehen, — so lang noch 3, 4, 5, 6
um uns stehen" und oben auf dem
Gang vor den Bleikammern „Wün-
sche Ihnen wohl zu ruhen" usw., was
dann von manchem früher schlafen
gegangenen Gast als bittere Ironie
aufgefaßt ward. Der Sommer 1860
war ein Regensommer und derMaler
oft zur Untätigkeit verdammt. Die
Laune ist aber dadurch nicht beein-
trächtigt worden, eher das Gegenteil.

Im nahen Flinsbach spielte eine
richtige Schmiere schauerliche Tra-
gödien und Ritterstücke. Brannen-
burg war mit seinen lustigen Malern
und sonstigen Gästen für den Herrn
otto grein er Zeichnung Direktor und seine Truppe eine

aus der deutschen Ausstellung Rom ist! Akquisition, welche eine außerge-

wöhnliche Einnahme versprach,
das Dach schauten. In jeder dieser Kammern Die Einladung zum Besuch mit Beilage des
ein Bett, Tisch, Stuhl und Waschtisch und was Zettels wiederholte sich mehrmals. Da ward
sonst an absolut Nötigem dazu gehört. Hier dann eines Abends der große Leiterwagen
war das Reich der ledigen Maler, die „Blei- des Wirts mit zwei starken Pferden bespannt,
kammern", wie diese ihr Logement getauft Die ganze Brannenburger Künstlerschaft saß
hatten. Unten, parterre, neben dem großen oben drauf, zwischen sich alle Mädchen aus
Herrenzimmer, dem Luftschnapperzimmer, wie dem Hause, die Wirtstöchter vor allem, darun-
es bezeichnet ward, kam man in ein kleineres, ter das schöne Walperl im höchsten Staat, sie
schmäleres, von einer langen Tafel ausgefüllt, alle waren von den Herren eingeladen wor-
Das war das Künstler-Eß- und Kneipzimmer, den. Dicht saß man beieinander und konnte
durch allerhand Malereien und ein Künstler- sich kaum rühren. Im scharfen Trabe rasselte
wappen über der Tür, auf dessen Rand ein das Fuhrwerk alsdann nach Flinsbach, am
fideler Teufel saß, mit dem beigegebenen Motto: Wirtshaus dort, gegenüber dem primitiven
„Pfui Teufel ist das Leben schön!" genügend Theater, vorfahrend. Die Schauspielertruppe
charakterisiert. stand, schon halb in Kostüm, nur den Rock

Viele vergnügte, sorglose Stunden habe ich übergeworfen, vor ihrem Tempel und empfing
daveriebt! Da saßen wir dann, meist fünfzehn die willkommenen Brannenburger Gäste mit
bis zwanzig jüngere Leute, der Begriff „jung" einer schmetternden Fanfare. Eine Schauspie-
war freilich dehnbar und eigentlich mit „un- lerin blies dabei die Trompete,
beweibt" zu übersetzen, beim Mittagstisch und Die Brannenburger füllten die vordersten
abends nach getaner Arbeit frohgemut zusam- Bänke des ersten Platzes. Tränen flössen frei-

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