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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 2.1901-1902

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Paulsen, Emil: Kunstgewerbliche Meisterkurse
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Emil Paulscn •■ Kunstgewerbliche Meisterkur sc.

berger Programm weist selbst auf den
« reichen Schatz anregender Vorbilder im
Gewerbemuseum » hin — nicht dem in der
Provinz lebenden Kunsthandwerker es
ermöglichen, sich über diese « neuen schö-
pferischen Ideen» selbst ein Urteil zu
bilden? Und endlich: sind diese «schöpfe-
rischen Künstler» wirklich auch so unüber-
treffliche Lehrer, dass ihr nur auf
Wochen berechneter Unterricht «im
Komponieren von Gegenständen
der verschiedensten Zweige des
Kunsthandwerks und der Kunst-
industrie in Zeichnung, Farben-
skizze oder Modell» thatsächlich von
Nutzen sein kann?

Wir möchten es billig bezweifeln, ob
der Einführung solcher Wander- Meister-
kurse nicht lediglich der Wert eines ebenso
interessanten als kostspieligen Experi-
mentes zukommen werde.

Im Elsass haben die Meisterkurse für
das Gewerbe, wie allgemein behauptet
wird, grossen Erfolg erzielt. Auf diesen
Erfolg dürfte wohl die mit höheren Zielen
auftretende Nürnberger Anregung mit
zurückzuführen sein. Es ist deshalb ge-
boten, dass auch wir sofort zur Nürn-
berger Idee Stellung nehmen, einer Idee,
die uns zwar durchaus nicht undurch-
führbar, wohl aber völlig unfruchtbar
wenn nicht abenteuerlich, erscheint.

Die solide Erziehung des Kunst-
gewerbetreibenden wird in einer Zeit des
Experimentierens und des ästhetischen
Hochstaplertums immer am besten durch
die Lehrwerkstatt gesichert werden. Zu
Anfang des i5. Jahrhunderts sehen wir
in Florenz das Technische den Vortritt

gewinnen; die Werkstatterziehung wird
die Hauptsache. Wie eingehend dieselbe
geregelt war, erfahren wir aus Cennini's,
Alberti's, Filarete's und Gauricus Schriften,
welche uns überhaupt die allerwert-
vollsten Einblicke in den Kunstbetrieb
des Quattrocento gewährleisten.

Und wenn wir auch nicht mehr im
Geiste unserer Väter schaffen und «nach-
empfinden» wollen — die Lehrmeisterin
Geschichte kann uns doch in Hinsicht auf
künstlerische Erziehung manchen wert-
vollen Fingerzeig geben.

In einer Zeit, in der die bislang ge-
pflegten Richtungen im Kunstgewerbe
noch immer im kaufenden Publikum ge-
schätzt und unterstützt werden, — auf-
schiessendes Unkraut findet sich neben
jedem starken Stamme ! — hiesse es
fast gefrevelt, die Kunsthandwerker zu
einem Schaffen veranlassen zu wollen,
das allerseits einem starken und gewiss
nicht unberechtigten Widerspruch bege
gnet. Das Verlangen nach neuen Anreg-
ungen, nach weiterer Entfaltung seiner
Schaffenskraft in der stärkenden Luft
frisch pulsierenden Kunstlebens ehrt gewiss
auch den Kunsthandwerker in der Provinz.
Aber in solch' kritischen Zeiten lernbe-
gierigen und anregungsbedürftigen Kunst-
handwerkern die angeblich durch die Ge-
walt der persönlichen Form bedeutsamen,
jedoch selbst im Unklaren schwimmenden
Künstler als «Lehrmeister für Wochen»
vorzuführen, — wird und kann ein solches
kühne Unternehmen zur Erreichung des
richtigen Zieles führen? Wird damit kein
unzufriedenes und unbefriedigendes Kunst-
gewerbeproletariat herangezogen werden?
 
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