Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 20.1870

DOI Artikel:
Lichtenstein, ...: Ueber die erfinderische Thätigkeit des Kunsthandwerkers: Vortrag
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9147#0006
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

Handwerker bestimmte Naturgebilde, durch welche die Menschen
poetisch angeregt werden, mit ganz besonderer Vorliebe zu Haupt-
bestandtheilen seiner Schöpfungen. Ich erinnere vor Allem an die Edel-
steine, sodann an die edlen Metalle, an Muscheln, Kokosnüsse, Straußen-
eier u. s. w. Edelsteine und edle Metalle üben ja einen so großen poetischen
Zauber auf den Menschen aus, daß er denselben auch in den land-
schaftlichen Reizen wiederzufinden glaubt. Wenn etwa der Städter
in den Alpen herumwandert, und er kommt an einen herrlichen
grünen Bergsee, und sein Auge ist wie trunken von der Farbe
desselben, dann weiß er diesen See mit nichts Besserem zu ver-
gleichen als mit einem Smaragd; wenn er den Wald betrachtet,
der von der untergehenden Sonne beleuchtet wird, dann sagt er:
das Laub ist wie vergoldet. Aehnlich spricht er vom Kristall des
Quellwassers, vom Silberschaum des Wasserfalls und noch viele
Vergleichungen dieser Art ließen sich anführen.

So wird der Edelstein mittelst der Magie, welche an ihm
haftet, auch die Phantasie des Kunsthandwerkers erregen; hat dieser
z. B. ein Armband zu verfertigen, so wird er eine solche Anord-
nung erfinden, durch welche die Wirkung jenes Naturgebildes noch
gesteigert wird; er wird etwa um die beiden Seiten des Arm-
bandes herum sich Karyatiden aufbäumen lassen, welche die Fas-
sung des Edelsteines so emporhalten, daß dieser recht anschaulich
als Hauptbestandtheil des Ganzen in die Mitte und in die Höhe
gerückt wird. Wählt der Kunsthandwerker eine Muschel zum Haupt-
bestandtheil eines Pokals, so wird er seine Phantasie durch die
eigenthümliche poetische Stimmung anregen lassen, in welche der
Mensch durch das Element des Wassers versetzt wird, an welches
ja jene Muschel erinnern muß. Er wird die figürlichen und orna-
mentalen Bestandtheile, welche er zur weiteren Ausschmückung des
Pokales verwendet, so auswählen, daß sie zu dieser besonder» Art
einer poetischen Stimmung passen. Er wird vielleicht auch Korallen
dazu nehmen, welche ja auch an das Element des Wassers erinnern.
Wählt er hingegen ein Straußenei zum Hauptbestandtheil eines
Pokals, zum eigentlichen Trinkgefäß, so darf er natürlich zur Aus-
schmückung desselben keine Bestandtheile wählen, welche uns in
jene poetische Stimmung versetzen, in welche uns das Element des
Wassers versetzt.

Ferner kann die Phantasie des Kunsthandwerkers durch die
verschiedenartige Zeichnung und Färbung, welche die Natur den
Rohstoffen mitgcgeben hat, zu mannichfaltigen Zusammenstellungen
veranlaßt werden. Der Kunstschreiner z. B. nimmt eine Holzart,
welche durch ihre besondere Dichtigkeit, Zeichnung und Färbung
sich von einer zweiten Holzart unterscheidet; er kann die eine in
die andere einlegen, oder auf der andern auflegen, oder auch die
eine, welche zur Füllung dient, mit einer zweiten umrahmen, und
er kann hiebei das wechselvolle Spiel des Lichtes auf rauhen und
glatten und glänzenden und matten Flächen benützen. Also die
Natur selbst gibt dem Kunstschreiner die Gelegenheit zu mannich-
fachen und neuen Compositionen an die Hand; und wenn er diese
Gelegenheit ergreift, soll er sich auch vergegenwärtigen, daß die
verschiedene Zeichnung und Färbung der Hölzer das Produkt des
lebendigen und originellen Wachsthums dieser oder jener Bäume
ist; dann wird er den frischen Naturton des Holzes, welcher vom
saftigen Wachsthum der Bäume und vom Einfluß der Elemente
herrührt, weder in den einzelnen Gliederungen noch in dem ganzen
Aufbau seines Werkes verwischen wollen; vielmehr wird er diesen
Naturton dazu benützen, daß der künstlerische Aufbau wieder an
die Natur erinnert, oder mit andern Worten, daß er wie orga-
nisch gewachsen aussieht, mit welcher Bezeichnung wir ja ein
Werk als ein besonders gelungenes zu rühmen gewohnt sind.
Kurz, hat der Handwerker einen Nerv für die stets neue Natur,
dann wird seine kunstfertige Hand auch den Reiz der Neuheit in
ihr Werk bringen. In ähnlicher Weise kann auch der Verfertiger
von Lederwaaren seine erfinderische Thätigkeit durch die Natur an-
regen lassen. Er benützt auch die von Natur aus an den ver-
schiedenen Thierhäuten haftende mannichfaltige Färbung und Zeich-

nung, welche letztere durch die verschiedenartige Stellung der Poren
und Rauten hervorgerufen wird. Auch kann er an einem und
demselben Werke den Reiz der Abwechslung dadurch erhöhen, daß
er eine Ledersorte in die andere einlegt. Der Goldschmied hin-
gegen kann die verschiedenen Metallfarben und die verschiedenen
Abstufungen des Metallglanzes zu neuen Combinationen verwenden.
Ich habe Ihnen nun an dem Kunstschreiner, welcher das Material
für seine Produkte aus dem Pflanzenreich, an dem Fabrikanten
von Lederwaaren, welcher das Material aus dem Thierreich, und
an dem Goldschmied, welcher sein Material aus dem Mineralreich
nimmt, drei Beispiele für die Wahrheit vorgeführt, daß die drei
Naturreiche selbst durch die Eigenschaften und durch die Zeichnung
und Färbung, welche sie ihren Produkten mitgeben, auch heute noch
die erfinderische Thätigkeit des Kunsthandwerkers anregen können.

Aber die Natur verleiht den Rohstoffen auch Eigenschaften,
welche erst recht entschieden bei ihrer technischen Behandlung durch
die Menschenhand zum Vorschein kommen. Ich erinnere nur an
die Dehnbarkeit und die Schmelzbarkeit der Metalle. Es zeigt
das Metall, wenn es für eine ihm vorgezeichnete Form durch Feuer
und Werkzeuge gefügig gemacht werden soll, eine ganz verschiedene
Bewegungsweise und einen ganz verschiedenen Charakter, je nach-
dem es geschmiedet oder gegossen wird. Und auch dieses charak-
teristische Aussehen, welches die Metalle durch die verschiedene tech-
nische Behandlung erhalten, wirkt befruchtend auf die künstlerische
Thätigkeit des Handwerkers. So kann ein Goldschmied, welcher
einen Tafelaufsatz verfertigt, neben dem Wechsel der Metallfarben
auch den Wechsel der technischen Behandlungsweise, den Wechsel
des Ciselirens, Treibens und Gießens benützen, um eine originelle
Harmonie des Ganzen ins Leben zu rufen. Es verbindet sich also
die verschiedene Art der Formengebung, wie diese mit den Mitteln
der Technik erzielt wird, gern mit der künstlerischen Erfindungs-
kraft. Tritt etwa nicht der technische Erfindungsgeist des Bronce-
gießers in den Dienst der Phantasie, wenn er darüber nachsinnt,
wie er für Menschenfiguren den eigenthümtich matten Glanz und
das elastische Aussehen der menschlichen Haut seiner Bronce ver-
leihen könne? Ans dem hier berührten Gebiete wirken auch die
Ergebnisse der neueren Naturforschung auf den Kunsthandwerker
äußerst anregend.

Noch gibt es für den Kunsthandwerker eine ganz andere Weise,
aus der Natur zu schöpfen. Wenn er nämlich die mustergiltigen
Werke der Alten studirt, soll er beim Anblick dieser Werke zu er-
forschen suchen, toie sich wohl die herrlichen Meister der Vergangen-
heit die lebendige Natur angesehen, und wie sie das von der Natur
dargebotene Material bearbeitet haben, um die entsprechenden styl-
vollen Formen finden zu können, die wir so sehr bewundern.

Ich gehe nun zu einigen Anregungsmitteln über, welche dazu
beitragen sollen, daß der figürliche Schmuck an kunstgewerblichen
Gegenständen die Physiognomie unseres gegenwärtigen Zeitalters
abspiegeln möge. Die Bewunderer, wie die Verächter jenes Zeit-
alters nennen dasselbe häufig das Eisenbahnzeitalter. Was will
man nun eigentlich mit diesem Namen sagen? Ich antworte: Mit
dem Namen des Eisenbahnzeitalters will man all das Neue zusammen-
fassen, was durch die mannichfaltigen Erfindungen auf dem Gebiete
der Mechanik und durch die Dienstbarmachung der Naturkräfte durch
den Menschen und für den Menschen in die Welt gekommen ist.
Nun, diese dienstbargemachten Naturkräste, durch welche die Phy-
siognomie der Menschheit gewaltig verändert wird, enthalten einen
fast noch ungehobenen Schatz von poetischen Motiven, welcher auch
für den figürlichen Schmuck kunstgewerblicher Erzeugnisse ausge-
beutet werden könnte. Und warum sollte die Phantasie die dienst-
bargemachten Naturkräfte, durch welche sie so sehr angeregt wird,
nicht auch verkörpern und um so mehr in menschlicher Gestalt ver-
körpern dürfen, als ja doch die Dienstbarmachung von den Kräften
ausgeht, welche in der menschlichen Gestalt wohnen. Ganz gewiß
könnte unsere Zeit eine Reihenfolge von Gestalten schaffen, welche
ihren Charakter aussprechen würden. Warum also sollten wir
 
Annotationen