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Zeitschrift

des

Kunst-Gewerbe-Vereins.

Zwanzigster Jahrgang.

München. /»L -i 4' «. 1870.

Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr, der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. ^ 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. St and ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.

Wirkerei und Gobelins.

Vortrag von Prof. Kuhn, Conservator des bayr. Nationalmuseums.

(Fortsetzung.)

Lacroix meint zwar, diese und andere Teppiche seien nicht
Stickereien, sondern Gewebe gewesen; aber man könnte dieser An-
sicht nur dann beipflichten, wenn dieselben aus dem Oriente bezogen
worden wären, wofür jedoch weitere Anhaltspunkte nicht gegeben
sind. Ein Grund für meine Annahme, daß wir es hier nur mit
Stickereien zu thun haben, liegt in dem Zeugnisse eines Zeitgenossen
des Bibliothekars Anastasius, nemlich des Diakon Joannes,
der sich weit deutlicher über Vorhänge und Paramente, die der
Bischof Anastasius von Neapel der Kirche des hl. Januarius vom
Jahre 850—870 schenkte, ausdrückt. „Diesen Altar (des hl. Ja-
nuarius) bedeckte er mit einem Vorhänge, auf welchem das Mar-
tyrium des hl. Januarius und seiner Genossen neu pietili (nüt der
Nadel) gemacht war. — In derselben Art ließ er auch in der
Kirche des hl. Stephanus 30 Decken machen mit biblischen Dar-
stellungen, die als Zierde an den Kapitalen der Säulen Herab-
hängen sollten."

Diese Stickkunst wurde vorzugsweise in weiblichen Klöstern
geübt, da es schon sehr frühe Sitte in der Kirche wurde, die Säulen,
Wandflächen, ja sogar die Thüren der älteren Basiliken, die Altäre
an den Seitentheilen u. s. w. an den höchsten Festen mit den kost-
barsten Geweben und Behängen zu schmücken, wie es ja bei uns
und namentlich in Italien heutzutage noch Sitte ist.

Doch gab es auch weltliche Stickerinen in dieser frühen
Zeit schon, namentlich in England, weshalb auch kunstreiche
Stickereien vorzugsweise mit dem Ausdrucke opu8 anglicanum
Vorkommen und dieser Name wird auch später, namentlich im
11.Jahrhunderte auf Webereien übertragen. Erst im 9.Jahr-
hundert finden wir Nachrichten aus städtischen Archiven, daß
schon haute lisse Webereien bestanden, wahrscheinlich durch
byzantinische Werkleute, die entweder über die Pyrenäen oder auch
mit anderen Künstlern aus Constantinopel gekommen waren. So
existirt eine Urkunde, daß ein Bischof von Auxerre, der im Jahre
840 starb, einige Teppiche für seine Kirche bestellte; gegen das
Jahr 890 (nach andern um das Jahr 1000) finden wir die Mönche
ber Abtei Saint Florent in Saumur mit solchen Webereien
beschäftigt und ähnlich treffen wir später dergleichen Werkstätten zu
Pvitiers, Rheims, Trotzes, Beauvais, Aubusson, Balenciennes, Tours

Arras.

Diese Teppiche der Laienbrüder und Mönche von Saumur
^gen vorerst Pflanzen und Thiere als bildlichen Schmuck, aber
euch berühmt war die „tapeta“ der Manufactur Poitiers,
uot)in sich deutsche und italienische Bischöfe mit ihren Bestellungen

Im eigentlichen Deutschland — obwohl Arras in Flandern
aält gehörte — tritt diese Art der Kunstthätigkeit erst später auf;

wenigstens haben wir keine archivalischen Belege für ein so frühes
Vorkommen, wenn auch anzunehmen ist, daß in den zahlreichen
Klöstern, die hier entstanden waren, namentlich in den der Bene-
dictiner, diese Kunst geübt wurde. Erst jüngst ist das Germanische
Museum in den Besitz eines gewirkten Teppichs mit geometrischen
Mustern, Laubwerk, Thierköpfen, Greifen und Vögeln gekommen,
welcher aus der Kirche Sanct Gereon zu Cöln stammt und
noch in das zehnte Jahrhundert gesetzt wird, ob er aber deutsche
Arbeit ist, wird kaum festgestellt werden können.

Während im 11. Jahrhunderte namentlich diese Kunst in der
Normandie aufblüht, und sich nach Flandern fortsetzt, welches
in der Folge zur ausgezeichneten Berühmtheit gelaugte, sehe» wir
in diesem und dem folgenden Deutschland meist seine Bedürfnisse
dieser Art aus dem Orient beziehen, der überhaupt das ganze
Mittelalter hindurch die Hauptbezugsquelle für kostbare Stoffe und
Gewebe, namentlich mit Silber und Gold brochirt, bleibt.

War doch auch durch die Kreuzzüge der Orient dem Abend-
lande unendlich näher gerückt und sein Luxus und seine fabelhafte
Pracht erst jetzt mehr gekannt worden. Es erwachte die Nach-
ahmungssucht. Kostbare Stoffe wurden dort von den Kreuzfahrern
erworben und schmückten später entweder die Kirchen und Altäre
ihrer Heimath, oder sie gebrauchten selbe als Zierde ihrer Burgen,
als Schmuck ihrer Frauen. Und selbst wer das nicht konnte, suchte
sich doch mit einem ähnlichen Luxus, wie er ihn in dem märchen-
haften Oriente gesehen, zu umgeben und nach Vorgang dessen sich
ebenso wohnlich und prachtvoll einzurichten. Als natürliche Folge
dessen sehen wir darum im 12. und 13. Jahrhunderte die Ritter-
frauen, überhaupt die Frauen des Adels, die Fürstinen und die
Patrizierinen der reichen Städte mit Kunststickereien und Webereien
.vollauf beschäftigt, entweder um die Wände der Wohnungen und
deren Meubel für festlichen Empfang zu schmücken, oder aber für
die Altäre und den Tempel Gottes eine besondere Zier zu bereiten.
Stoff hiezu war ja in Hülle und Fülle gegeben.

Vergegenwärtigen wir uns einen Augenblick den frommen und
gläubigen Sinn, tvelchcr die damalige Zeit bei all' ihrer Mann-
haftigkeit und Derbheit durchwehte, sotvie auf der anderen Seite
die glorreichen Erinnerungen der Kreuzzüge, die siegreichen Kämpfe,
die Abenteuer, die Turniere ihrer Ahnen, Väter und Brüder, die
Zeit der Minnesänger — nehmen wir das Alles zusammen und
wir begreifen, wie die von jedem weiteren geselligen Verkehr abge-
schnittencn ritterlichen Frauen und Jungfrauen ihre Freude und
Erholung darin fanden, entweder für gottesdienstliche Zwecke ihre
Kunst zu verwerthen oder durch Schilderungen der Kämpfe und
Abenteuer der viel besungenen ritterlichen Gestalten oder ihrer Anver-
wandten, deren Turniere, Jagden oder auch durch heroische Ge-
schichten, durch Nachbildungen der Dichtungen, Minnehöfe, Minne-
burgen, (verschiedene Sagenkreise, Tristan, Gralsage re.) das Auge
und das Herz ihrer Gatten, Brüder und Verwandten zu erfreuen.

Seit den Kreuzzügen war es namentlich an den Höfen im
 
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