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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1878

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Eröffung unseres Vereinshauses
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https://doi.org/10.11588/diglit.6904#0092

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4- <J2 -

Eröffnung unseres Vereinshauses.

m Vormittag des \ . Oktober versammelte sich eine ansehnliche Männerschaar in dem neuen Ver-
einshause. prüfend und dabei im hohen Grade befriedigt genossen die Blicke der Angekommenen
die Schönheit der von den Herren Voit, Gedon, Seitz, A. Kaulbach erbauten und geschmückten
Räume, welche dem Verein zur Heimstätte und durch ihre künstlerische Ausstattung zugleich zum
Ausdruck seiner Bestrebungen dienen sollen. Vor den im Fcstsaalc Versammelten hielt der Ver-
einsvorstand perr v. Miller folgende, oft von Rufen der Zustimmung unterbrochene Rede:

Es war im Jahre \85\ , als zum ersten Male in London bei der großen Weltausstellung die Völker
in ihren künstlerischen wie industriellen Leistungen sich maßen. Mir Münchener gingen im vollen Bewußtsein
unserer Kraft und unseres Wcrthes nach London, denn damals ward in München wie nirgends sonst die Kunst
energisch und warn: gepflegt und geübt — König Ludwig I. wirkte ja in München.

Ich will nicht sagen: beschämt, aber tief bekümmert kehrten wir von jener Ausstellung zurück, denn
wir mußten uns gestehen, daß wir in der Kunst-Industrie, in der Entwicklung des Geschmackes noch lange nicht
auf der pöhe wie andere Völker, besonders die Franzosen, gestanden — es blieb uns nur der Trost, daß Andere
dasselbe sich sagen mußten. Die Klügeren, England voraus, hielten Umschau bei sich und suchten daraus
Nutzen zu ziehen und untersuchten, was zu thun sei, es künftig bester zu machen. Es fand sich auch in München
ein Kreis von Männern zusammen, die diese Erfahrungen unserm Vaterlande nutzbringend machen wollten —
in der Kunst zwar konnten wir es mit allen Völkern aufnehmen und brauchten keinen Vergleich zu scheuen, in
der mit der Kunst verwandten Industrie aber war es anders, da fehlte Geschmack, Verständniß und Geschick-
lichkeit — wir frugen uns: Sollte hier nicht gelingen, was in der Kunst erreicht war, warum soll unsere Kunst-
Industrie nicht aus gleiche pöhe zu bringen sein, wie jene der Franzosen? Und hier möchte ich vor Allem des
seligen kserrn Oberbauraths V o i t gedenken, der bei Gründung unseres Vereins rastlos thätig war und ihn auch
lange Jahre als dessen Vorstand leitete; wir bemühten uns, die Kluft, die zwischen Künstlern und Handwerkern
im Laufe der Jahrhunderte sich gebildet, auszugleichen, Künstler und Handwerker einander näher zu bringen;
eine Schule, eine Zeitschrift, eine Ausstellungshalle wurde gegründet. Die Schule ist in schönster Blüthe heran-
gewachsen, unsere so treffliche kgl. Kunstgewerbeschule hat dem Verein ihr Entstehen zu danken; der Verein wirkte
günstig und kam vorwärts. Den Lulminationspunkt erreichte er indeß bei der Jubiläums-Ausstellung von
Werken der Kunst und des Gewerbes im Jahre ! 876. Diese so glücklich verlaufene deutsche Ausstellung erfreute
sich der Theilnahme und Bewunderung von ganz Europa und in ganz Deutschland trat neues Leben allüberall
hervor zur Förderung der Kunst-Industrie; Schulen und Vereine für Kunsthandwerk entstanden allenthalben und
wirken wohlthätig im Sinne unseres Vereins, der zum deutschen Vorort gewählt wurde.

Nach solcher Glanzperiode trat an unfern Verein die Frage heran: Sollen wir uns wieder in die alte,
bescheidene Thätigkeit zurückziehen oder sollen wir sie größer entfalten? Da kam der Magistrat München uns
wohlwollend entgegen und schuf uns dies herrliche Gebäude, das nun, unbeschadet der Interessen der städtischen
Stiftung, der es gehört, dem Verein zur Nutznießung übergeben ist. Der Magistrat hat dies mit seltener Liebe
und Zuneigung für die Sache gcthan, wir aber sind ihm dafür zu hohem Danke verpflichtet, der ihm hiemit
öffentlich und feierlich ausgesprochen sei.

peutc steht der bayerische Kunstgewerbe-Verein wieder an einem Wendepunkt, an dem er neuen Anlauf
zu nehmen hat; wieder bezeichnet diesen Moment eine Weltausstellung, wie bei seinem Beginnen, bei der uns
Gelegenheit geboten, zu prüfen und zu vergleichen, welchen Standpunkt unsere Kunst-Industrie zwischen den andern
Völkern einnimmt. Diese Ausstellung aber zeigt uns, wie der Kampf der Völker ernster ist denn je, ernst ganz
besonders für uns Deutsche. Ist es denn noch möglich, bei solcher Massenproduktion, wie wir sie in Paris
sehen, bei solcher Vollkommenheit der Arbeit, bei der Größe des Zusammenflusses von gewandten Kräften
in unserm kleinen armen Bayern noch Kunst Industrie zu treiben? Ich bin sonst nicht muthlos, aber als ich
diese Fülle von Erfolgen menschlicher Thätigkeit sah und unsere Verhältnisse mir lebhaft vor die Augen traten,
da hat mich wirklich bange Muthlosigkeit befallen. Dieses Gefühl aber ist für die Deutschen um so drückender,
weil einst unsere Väter in dem Kunstgewerbe die höchste, von allen Völkern angestaunte Vollkommenheit erreicht
hatten — sollten wir wirklich das nicht mehr sein, nicht mehr werden können, was unsere Väter Jahrhunderte
lang gewesen sind?

Meine Herren! Die Arbeiten, die ich speciell am besten zu beurtheilen weiß und in Paris gesehen
habe, die der Goldschmiede, Bronze- und Eisengießer, Holz und Elfenbeinschneider rc., sind in vielen Fällen
wunderbar schön — aber Größeres, Schöneres haben doch unsere alten deutschen Meister, ein Peter Bischer,
ein Jamitzer re. geleistet; sie sind auch jetzt noch nicht erreicht.

Freilich, meine Herren, waren unsere Väter viel günstiger gestellt als wir, und wie viel schlimmer ist
unsere Lage gegen die derjenigen Nationen, mit denen wir nunmehr zu kämpfen haben! Ans fehlt vor Allem
jenes Nationalgefühl, das die andern Völker hierin groß gemacht und das auch wir Deutsche einst hatten. So
 
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