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Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0102

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98

Zwischen Klassizismus und seiner Überwindung

Modus, beide sind jedoch eng miteinander verknüpft und überschneiden sich
zumindest teilweise168.
Sind mit Jouvenet und de La Fosse die Vertreter einer klassizistisch-idealistischen
und einer eher um malerische Werte bemühten rubenistischen Position vorgestellt
worden,so muß hier noch auf einen jüngeren Künstler eingegangen werden, der eine
seltsame Stellung zwischen beiden Richtungen einnahm: Antoine Coypel (1661-
1722). Schüler seines der Idassizistischen Fraktion zuzurechnenden Vaters Noël, ver-
suchte er eine Verbindung der beiden Extreme. Coypel zog die Farbe als Ausdrucks-
träger heran und orientierte sich dabei deutlich an Rubens. Gleichzeitig verzichtete
er jedoch nicht auf die Möglichkeit, die expression des passions als Motor einer
Komposition einzusetzen. Im Gegenteil: Er steigerte diese von den Klassizisten ent-
wickelte Vorgehensweise noch, mit dem Ergebnis, daß uns heute die Mimik zum Teil
als aufgesetzt, affektiert, als zu laut vorkommt. Manchmal scheint die Beziehung
zwischen einer Empfindung und einem dargestellten Gesichtsausdruck nur noch
recht locker zu sein.Vorrangig war bei der Wiedergabe eines Affektes nicht unbedingt
die Beschreibung einer psychologischen Situation; die expression des passions erklärt
sich vielmehr häufig aus einer Komposition und den Möglichkeiten einer Aus-
druckssteigerung und Dramatisierung, einer Verdeutlichung von Handlungsabläu-
fen innerhalb dieser Komposition.
Coypel, dem vorgeworfen worden war, er könne lediglich galante Themen malen,
bemühte sich seit Beginn der neunziger Jahre um ein seriöses Image. Den Grund
dazu bildeten wohl taktische Überlegungen1^9. Im Jahre 1690 war Charles Le Brun
gestorben und seine Position als Premier Peintre ging nun auf Pierre Mignard über.
Da dieser damals jedoch bereits 77 Jahre zählte, war es absehbar, daß die Stelle bald
neu besetzt werden müßte.Auf diesen Posten machte sich Coypel nun gewisse Hoff-
nungen. So schuf er eine Serie von Bildern mit alttestamentarischen Themen, The-
men also, mit denen er bei niemandem auf Kritik stoßen konnte, noch nicht einmal
bei der bigotten Madame de Maintenon. Zudem bemühte er sich besonders um

168 Jan Bialostocki, Das Modusproblem in der bildenden Kunst. Zur Vorgeschichte und zum Nachle-
ben des »Modusbriefes« von Nicolas Poussin, in: ders., Stil und Ikonographie. Studien zur Kunst-
wissenschaft, Dresden 1966, S. 25, hat die These aufgestellt, daß die im 19.Jahrhundert festzustel-
lende parallele Verwendung historischer Stile - etwa in Schinkels neugotischen und in seinen
neoklassizistischen Entwürfen - »als >modale< und nicht als »stilistische« Differenzen zu bewerten«
seien. Diese Überlegung muß nicht auf den Historismus des 19.Jahrhunderts beschränkt bleiben.
Mit ihr läßt sich durchaus auch die künstlerische Vielfalt und Divergenz eines Künstlers wie de La
Fosse beschreiben und erklären, umfassender sogar: Sie macht einen Teil der künstlerischen
Veränderungen um die Wende zum 18. Jahrhundert verständlicher, auch wenn diese sich unter
anderen Vorzeichen vollzogen.

169 Siehe Louis Dimier, Les peintres français du XVIIIe siècle. Histoire des vies et catalogue des
œuvres, 2 Bde., Paris/Brüssel 1928-1930, Bd. 1, S. 107, und Schnapper, op. cit. (Anm. 153),
S. 59-61.
 
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