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Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0105

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Zwischen Klassizismus und seiner Überwindung

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19 Sébastien Le Clerc nach Charles Le Brun,
Le ravissement, Ausgabe 1696 (Ausschnitt)

18 Bernard Picart nach Charles Le Brun,
L'esperence, Ausgabe 1698

(Abb. 18). Der Blick der Mutter ist zu der Prinzessin erhoben.Ihr Ausdruck zeugt von
Liebe zu dem Kind, verschmitzter Freude, Dankbarkeit und vielleicht ein wenig
Spannung. Ihre Haltung ist auf Moses gerichtet, der ihr die Arme entgegenstreckt
und sie anschaut. Eine Verbindung zwischen der Mutter-Kind-Gruppe und der Toch-
ter des Pharaos stellt - neben den Blickrichtungen - die junge am Boden sitzende
Frau her. Ihr Oberkörper ist gegen Moses, den sie hält, und seine Mutter gedreht,
während sie ihren Kopf der Prinzessin zuwendet und diese ansieht. Ihr Gesichtsaus-
druck stammt ebenfalls aus Le Bruns Traktat. Es ist »Le ravissement« (Abb. 19). Die
Spannung der Erzählung wird noch dadurch gesteigert, daß ähnlich wie in Poussins
Bild im Hintergrund eine Reihe von Personen mit relativ ruhiger Miene angeordnet
sind. Sie erscheinen wie eine Folie, vor der im Kontrast die Gemütsbewegungen der
vorne agierenden Figuren intensiver wirken.
Coypel stützte sich bei seinem Gemälde auf drei unterschiedliche Vorbilder: Die
Farbigkeit ist an den Werken von Rubens orientiert, die Komposition an derjenigen
Poussins und die expression des passions zeigt direkte Anleihen bei Le Brun. Diesen
letzten Bereich steigerte Coypel noch in seiner Ausdrucksfähigkeit, wodurch die
Szene zwar an Realistik verlor, jedoch an innerer Bewegtheit, Dramatik und Bered-
samkeit hinzugewann.
 
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