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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1908

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Heft 1
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Dvořák, Max: Restaurierungsfragen, I: die Prager Königsburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.26206#0010
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Max Dvo&äk Restaurierungsfragen

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heruntergeschlagen, die kostbarsten Dekorationen
zerschlagen, verbrannt oder an Trödler verkauft
worden, damit sie durch Erzeugnisse der stiltreuen
Zuckerbäckergotik und Tischlerrenaissance ersetzt
werden können. Ganze Städte sind auf diese Weise
künstlerisch vernichtet worden und es schien, daß
dieser Massenmord der alten Kunstdenkmäler nicht
früher aufhört, bis die letzte Spur einer ursprüng-
lichen unverfälschten Kunstäußerung der Vergangen-
heit verschwunden sein wird.

Zum Glück ist es nicht so weit gekommen.

In England war die allgemeine künstlerische
Bildung viel zu groß, als daß man sich je an der
Restaurierungsbarbarei beteiligt hätte, in Italien, wo
die alte Tradition wirkte, hat bereits im Jahre 1858,
als die österreichische Verwaltung S.Donato inMurano
umbauen wollte und — umgebaut hat, Boito einen
flammenden Protest gegen die „Frivolität der Restau-
ratoren“ erhoben und bald darauf die ganze Öffent-
lichkeit sich dagegen aufgelehnt, daß die Fassade
des Mailänder Domes durch eine „stilgerechte“ er-
setzt werde, in Frankreich, wo die Bresche, welche
die Revolution in die kulturelle Kontinuität geschlagen
hat, bewunderungswürdig bald wieder ausgefüllt
wurde, war die Restaurierungsperiode auch nur eine
kurze Episode und niemand würde heute einen Archi-
tekten ernst nehmen, der etwa eine der großen goti-
schen Kathedralen oder ein altes Königsschloß um-
bauen, zu Ende bauen oder deren barocke Teile
beseitigen wollte. Doch auch in Deutschland und
Österreich haben seit Jahren Künstler und Gelehrte
für eine pietätvollere Behandlung der alten Kunst-
denkmäler gekämpft, und daß ihr Kampf nicht nur
in den engeren Fachkreisen Erfolg hatte, beweist
der Beschluß der Badener Volksvertretung. Es mag
sein, daß noch mancher Bau zugrunde restauriert
wird, aber nachdem einmal selbst in breiten Schichten
der Bevölkerung die Überzeugung Boden gewonnen
hat, daß die alten Kunstschätze noch mehr als vor
dem natürlichen Verfall vor den Eingriffen der Restau-
ratoren geschützt werden müssen, dürfte wohl jene
unglückselige Periode der Denkmalpflege als abge-
schlossen betrachtet werden.

Und doch droht noch manche Gefahr. Es gibt
auch in Prag einen Otto Heinrichs-Bau, d. h. ein
Denkmal, dessen eigenartige Wirkung durch Restau-
rierungseingriffe vernichtet werden soll und zwar

mit noch weniger Grund als in Heidelberg, denn es
handelt sich um keine Ruine, die vor dem Unter-
gänge zu retten wäre, sondern um einen Bau, der
unter allen Umständen in seiner jetzigen Form und
Erscheinung gesichert werden kann. Es ist dies
der unter König Wladislaus II. erbaute Teil der
Hradschiner Burg, ein Wunderwerk Benedikts von
Laun und mehr als das, ein Denkmal, welches zu
jenen gehört, die nicht nur die Kunst und Kunstliebe
der Erbauer, sondern auch ihre weiteren Geschicke,
die Ereignisse, deren Zeugen sie gewesen sind, das
geistige Leben und die politischen Schicksale einer
Nation, Poesie und Geschichte zu unantastbaren
Epitaphien der Vergangenheit verwandelten. Man
muß ganz stumpf für künstlerische und historische
Empfindungen sein, um gleichgültig an diesem Teile
der alten Königsburg vorbeizugehen.

Die dem Dome zugekehrte Fassade des Palastes
soll nun „instand gesetzt“ werden. Es sollen nicht
nur die störenden nüchternen Nutzanbauten beseitigt
werden, was zu begrüßen wäre, wenn man es mit
Takt durchführen würde, sondern auch die Sgraffiti
erneuert werden, weil sie „sonst ganz verschwinden
würden“, als ob es ein Vorteil wäre, wenn sie be-
reits hundert Jahre früher erneuert, d. h. vernichtet
werden, die Fialen sollen ergänzt werden, weil sie
sonst „in absehbarer Zeit ganz zerfallen dürften“
und „man dann nicht mehr wissen wird, wie sie aus-
gesehen haben“, als ob man selbst, wenn es wahr
wäre, dem Verfalle nicht durch eine einfache Siche-
rung vorbeugen und die alte Form für alle Zeiten
durch Abgüsse festhalten könnte, die Galerie, welche
die Fassade umzieht, soll geöffnet und ergänzt werden,
„wie sie einst gewesen ist“, weil — ich weiß nicht
warum — weil der „neue Zweig der Architektur“
sein Recht verlangt und weil es noch immer Leute
gibt, deren Herzen und Geschmacke die Banalitäten
der modernen Pseudogotik näher stehen als das alte
Monument. Dies alles erfordere — so sagen sie —
das Dekorum, als ob es dem Dekorum der Nation
und der Dynastie mehr entsprechen würde, wenn
das alte Königsschloß, der Altersspuren beraubt, eine
ähnliche Auferstehung feiern würde, wie sie die Vor-
stadtvilla des Herrn Pumpelmeier jedes Lustrum
einmal nach einer gründlichen Reparatur zu feiern
pflegt.

Max DvorAk
 
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