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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1908

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Heft 2-3
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Tietze, Hans: Der Kampf um Alt-Wien, I: Alt-Wiener Friedhöfe
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https://doi.org/10.11588/diglit.26206#0031
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ALLGEMEINES

Der Kampf um Alt-Wien

I. Alt-Wiener Friedhöfe

Auf dem letzten Denkmalpflegetage in Mann-
heim hat Rehorst in seinem vortrefflichen Refe-
rate über „Erhaltung alter Städtebilder“ auf die
große Bedeutung der alten Friedhöfe für das Stadt-
bild hingewiesen und eine Erörterung derselben
Frage wurde als besonderer Punkt in das Programm
der nächsten Tagung aufgenommen. Schon vorher —
im Jahre 1906 — hat eine vom Ministerium für Kultus
und Unterricht an die Zentralkommission gerichtete
Anfrage diese verlanlaßt, an ihre Konservatoren eine
Rundfrage über die in ihren Bezirken befindlichen
Friedhöfe von historischem Interesse und Grabsteine
von besonderem Werte zu erlassen. Das Ergebnis
der Rundfrage war ein Zerflattern in Einzelfälle, die
wohl-eine überall vorhandene historische und ethische
Schätzung von Friedhöfen und Grabsteinen erkennen
ließen, aber zu jener allgemeinen Frage, die den
Denkmalpflegetag interessierte und interessieren wird,
wenig Material beitrugen, der brennenden Frage nach
den unvermeidlichen Konflikten zwischen Verkehrs-
rücksichten und Denkmalinteressen auf diesem Ge-
biete.

Von besonderer Aktualität ist die Frage natür-
lich in den großen Städten, besonders in Wien1). Denn
hier liegen die Friedhöfe, längst aus dem Zentrum
der Stadt an deren einstige Peripherie verbannt, gerade
in jenen Stadtteilen, deren Wachstum sich ungeheuer
gesteigert hat und in denen sich die Interessen des
Tages alle anderen um so unumschränkter unter-
werfen können, als die Wurzeln älterer Kultur hier
nicht tief liegen, sondern nur bis in den Türkenschutt
des Jahres 1683 zurückreichen. In diesen Stadtteilen,

*) Der folgende Absatz benutzt zum Teil die ein-
schlägigen Abschnitte in der „Kunsthistorischen Übersicht“
des II. Bandes der Osterr. Kunsttopographie (Wien, XI. bis
XXI. Bezirk) 1908.

deren Umwandlung aus ländlichen Vororten zu volk-
reichen Industriestädten sich mit rasender Eile voll-
zieht oder bereits vollzogen hat, sind die Friedhöfe
in ihrer Eigenschaft als künstlerische wirksame
Bestandteile des Gesamtstadtbildes arg gefährdet und
eben deswegen erscheint es nicht unangebracht, ein
paar allgemeine Betrachtungen über sie anzustellen,
in denen das Verhältnis der Denkmalpflege zu ihnen
und ihre speziellen Eigentümlichkeiten erörtert werden
sollen.

Künstlerische Friedhofanlagen einheitlichen Cha-
rakters gehören bei uns zu Lande zu den Selten-
heiten und auch von den Wiener Friedhöfen kann
keiner in dieser Hinsicht ein ästhetisches Interesse
beanspruchen. Dieses beruht vielmehr auf ihrem
Stimmungszauber, in dem der Gegensatz zu dem
lärmenden Treiben der Umgebung die Grundlage
bildet; der Unterschied zwischen der Stätte, die dem
Frieden und der Vergangenheit geweiht ist, und der
Umgebung, die dem Kampfe und der Gegenwart
dient, bildet für uns die Unterlage jener Wirkung.
Daher besitzt diese die Voraussetzung, daß der Ab-
schluß des Friedhofes von der Außenwelt bis zu
einem gewissen Grade durchgeführt ist; das Treiben
der Großstadt mag uns bis in die Nähe des Fried-
hofes begleiten, damit wir den Gegensatz empfinden,
aber der Unfrieden und der Alltag dürfen uns nicht
bis in die geweihte Stätte hinein verfolgen. Ist der
Friedhof von allen Seiten von hohen Häusern um-
geben, dringt der Lärm der Straßen mit ihrem wach-
sendem Verkehre ganz unmittelbar in ihn ein, so
ist es um seine Stimmungs werte geschehen, der Gegen-
satz, der diese ausgelöst hatte, verwischt sich und es
liegt für die Denkmalpflege kein Grund vor, der
Gegenwart ihren Sieg streitig zu machen. Und nach-
dem schon hygienische Gründe die Weiterverwendung
der Friedhöfe unmöglich gemacht, Verkehrsrück-
sichten und wirtschaftliche Bedenken ihre Erhaltung

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