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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1908

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Heft 4
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Tietze, Hans: Neuentdeckte Sgraffiti in Krems
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https://doi.org/10.11588/diglit.26206#0072
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Fig. 32 Neuentdeckte Sgraffiti in Krems

Neuentdeckte Sgraffiti in Krems

Im Winter 1907 wurden in Krems an dem Hause
Untere Landstraße 69 Sgraffittimalereien bloßgelegt,
die nicht nur den reichen Kunstbesitz der schönen
Donaustadt vermehren, sondern auch unserer Kennt-
nis von dieser einst stark verbreiteten Fassaden-
dekoration ein wichtiges Glied zufügen. Denn dieser
Häuserschmuck, der schon am Ende des XV. Jhs.,
wie wir aus einer berühmten Stelle bei Aeneas Sylvius
wissen, den äußeren Eindruck der Stadt Wien be-
stimmte und vollends im XVI. Jh. in Mode kam, hat
in Wien selbst keinerlei Spur hinterlassen1) und ist
in ganz Niederösterreich — von zahlreichen rein
ornamentalen Beispielen abgesehen — nur durch vier
größere Bildzyklen erhalten — Eggenburg (1547),
Krems (Althangasse Nr. 2), Retz (1576) und Horn
(1581) — wozu sich die neue Fassade als fünftes
Beispiel gesellt. Die „unanständige Witterung, die
diese Übermalung der Häuser bald verderbt“ und
deretwegen der Nürnberger Rat von Amts wegen von
der Anwendung solchen Schmuckes abräth2), und
andere Gründe haben uns des einstigen Reichtums
beraubt.

Die neu aufgedeckten Malereien (Fig. 32—34)
bilden einen schmalen am untern Rande des vor-
kragenden Oberstockes angebrachten Streifen, der von
sparsam ornamentierten Rahmen oben und unten ein-
gefaßt, von reich verzierten Renaissancepilastern in
einzelne Bildfelder gegliedert wird. Die Zwickel über
den Konsolen enthalten als spärlichen Schmuck ein-
zelne geflügelte Puttenköpfe, Seeschlangen mit ver-
schlungenen Hälsen, stachlige Blätter. Die rechte,
etwas größere Hälfte stellt in vier Bildfeldern, die
seltsamerweise von rechts nach links angeordnet sind,
die Legende vom verlorenen Sohne dar und ist mit dem

2) Über das Hasenhaus, das berühmteste unter den
Wiener gemalten Häusern s. Gesch. d. Stadt Wien, I, 1, 240ff.

2) Nürnberger Ratserlaß vom 22. August 1695.

genau unter einem eingemauerten Steinrelief1) ange-
brachten Titel: „Vom verlorne Sun“, weiter rechts
mit der Jahreszahl 1561 überschrieben.

Das erste Bild (Fig. 34) zeigt den Abschied des
Sohnes vom Vater. Dieser steht vor der an den rahmen-
den Pilaster angelehnten Haustür und winkt dem
Sohne, der in reicher Tracht das Barett schwingend
vorwärts schreitet; vor ihm geht ein Knecht und trägt
ein Bündel über der Schulter. Im zweiten Bilde ist
das liederliche Leben des jungen Mannes dargestellt;
er sitzt mit einer Frau, die er umarmt, hinter einem
mit Speisen und Bechern bedeckten Tische. Rechts
stehen zwei Musikanten, der eine mit der Baßgeige,
der andere mit der Flöte; von links kommt ein Knecht
mit einer Schüssel und einem Kruge. Im dritten Bilde
(Fig. 33) steht der verlorene Sohn mit einem langen
Hirtenstabe im Arme an einen Baumstamm gelehnt;
neben ihm weiden die Schweine in einer mit Bäumen
und Häusern abgeschlossenen Hügellandschaft. Das
vierte Bild endlich zeigt die Rückkehr des verlorenen
Sohnes, der in zerlumptem Gewände vor dem greisen
Vater kniet, hinter dem ein Knecht Gewand und
Schuhe tragend herzueilt.

Das nächste größere Feld ist von der rechten
Hälfte des Streifens durch einen kanellierten und
einen mit Blattranke ornamentierten Wandstreifen
abgetrennt und enthält eine lediglich genrehafte Szene,
eipen derben Bauerntanz, zu dem ein Dudelsackspieler
aufspielt (Fig. 32). Einen ähnlichen Charakter zeigt
das letzte Feld, wo die Vorgänge sich auf einer ge-
pflasterten Straße abspielen. Die Mitte nehmen zwei
schwatzende Frauen ein, von denen die eine ein
Schaff unterm Arme trägt. Von rechts trägt ein junger
Bursche einen Schemel herbei. Von der Beischrift ist
nur das letzte Wort „nieder“ erhalten; nach der
Situation handelte es sich wohl um eine spöttische

*) Kunsttopographie, Krems, 255.
 
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