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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1908

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Heft 4
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Dvořák, Max: Restaurierungsfragen, II: das Königsschloß am Wawel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26206#0064
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M. DvoS.Ak Das Königsschloß am Wawel

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fenster wurden ihrer reichen Umrahmungen beraubt,
sei es, weil sie ebenfalls schadhaft waren, oder
vielleicht auch deshalb, weil man die Fensteröffnungen
verkleinern wollte. Es war dies zweifellos ein trauriger
Abschluß der glorreichen Vergangenheit, der um so
mehr eine nie versiegende Quelle wehmütiger Re-
flexionen bilden mußte, als durch das neue Leben,
welches das alte Schloß füllte, mit seiner banalen
Alltäglichkeit der Gegensatz zwischen der Ver-
gangenheit und Gegenwart bis zum Eindrücke einer
unerträglichen Depravation gesteigert wurde. Man
versteht es deshalb, warum eine so große Freude
überall in Galizien herrschte, als durch einen groß-
mütigen Entschluß des Monarchen das Schloß der
ärarischen Verwendung entzogen und dem Lande
als ein Nationaldenkmal geschenkt wurde. Doch der
Leidensweg des alten Denkmales scheint damit noch
nicht sein Ende gefunden zu haben. Man will sich
nämlich nicht damit begnügen, das gerettet zu haben
und für die Zukunft zu erhalten, was die Ungunst
der Zeiten überlebte, sondern glaubt, nun sei der
Zeitpunkt gekommen, wo sich der alte Traum ver-
wirklichen und das Königsschloß in seiner vergangenen
Herrlichkeit eine Auferstehung feiern kann. Zu diesem
Zwecke soll das Schloß nach einem dafür aufge-
stellten Projekte in jene Gestalt zurückversetzt
werden, welche es gegen das Ende des XVII. Jhs.
hatte. Die Plofarkaden sollen wieder geöffnet, die
Dächer in der alten Form erneuert werden, die Fassaden
den alten Schmuck erhalten und die Türme die alten
Bekrönungen. Dem emsigen Eifer der Archäologen
und Restauratoren ist es gelungen, für all das Belege
und Analogien nachzuweisen, und so scheint der lang-
ersehnten W iedergeburt nichts mehr im Wege zu stehen.

Darin liegt aber die größte Gefahr, die je dem
Schlosse drohte.

Denn der Glaube der Romantiker, daß durch
Mittel der Kunst und Wissenschaft die Vergangenheit
zu einem neuen Leben aus dem Grabe erweckt werden
kann, ein Glaube, der im polnischen geistigen Leben
eine so starke Resonanz und einen so konkreten histo-
rischen Inhalt finden mußte, gehört längst der Ver-
gangenheit, und die geplante Rekonstruktion würde
nach unseren heutigen Anschauungen nicht eine Auf-
erstehung, sondern eine Vernichtung des Baues be-
deuten. Es gibt in Krakau ein beklagenswertes Bei-
spiel für die vollständige Entwertung eines alten
Baues durch ähnliche Rekonstruktionsversuche. Es
ist dies die alte Jagellonsche Bibliothek, die im vorigen
Jahrhunderte stilgerecht restauriert wurde. Wer ahnen
will, wie schön das Gebäude früher war, der sehe
sich das Gemälde mit der Darstellung der Bibliothek
vor der Restaurierung an, welches in dem Zimmer

des Bibliothekars hängt. Die Poesie des alten Baues
verleiht dem bescheidenen Bilde einen unbeschreib-
lichen Zauber. Durch die stilgerechte Rekonstruktion
verwandelte man aber diesen Bau in eine lächerliche
Parodie der Vergangenheit, an der man gleichgültiger
vorbeigeht als an einer vorstädtischen Zinshauskaserne.
Man würde die historisierenden Erneuerungen am
Wawel wohl unvergleichlich treuer nach dem alten
Bestände und nach alten Analogien ausführen, doch
das Ergebnis wäre dasselbe, denn eine Fälschung
wird darum nicht wertvoller, weil sie mit Geschick
und Sachkenntnis erfunden wurde. Und als Fäl-
schungen sehen wir heute alle historisierenden Er-
gänzungen und Erneuerungen an, als Fälschungen,
welche das Verlorene nicht ersetzen können, das Er-
haltene aber entwerten, wie falsche Ahnenbilder eine
Ahnengalerie oder moderne Interpolationen ein altes
Dokument. Nur eine Zeit, in der das Verständnis für
die künstlerischen Qualitäten des architektonischen
Schaffens so tief gesunken ist, daß die Baukunst mit
technischem und antiquarischem Wissen identifiziert
wurde, konnte der Meinung sein, daß aus der Alchy-
mistenstube der Altertumsforscher und Restauratoren
die alten Bauwerke in jener Gestalt wieder hervor-
gehen können, in der sie ursprünglich geschaffen
wurden. Es gibt kaum ein beschämenderes Bekennt-
nis einer tief stehenden künstlerischen Kultur, als
das Verkennen des unüberbrückbaren Unterschiedes
zwischen einem alten originalen Kunstwerke und
einer modernen Nachahmung desselben, und wenn
sich bei kunstgewerblichen Gegenständen bereits
oder bei Skulpturen, bei welchen konkrete Vor-
bilder sklavisch nachgeahmt werden können, in den
Nachahmungen die Originale in zeit- und stillose
Geschmacklosigkeiten verwandeln, wie viel mehr
muß dasselbe für den komplizierten Organismus
eines alten Bauwerkes gelten, welches die unnachahm-
lichen Spuren des Zeitalters, der individuellen künst-
lerischen Betätigung und der Schicksale des Baues
in hundertfacher Variation wiedergibt. Und so er-
scheinen uns auch heute die modernen Nachbildungen
alter Bauten, mögen sie sich auch überall auf alte
Belege und Vorbilder stützen, ja, je treuer sie sind,
um so mehr, als inhaltlose Gemeinplätze, als Skelette,
welchen es am Leben mangelt, sowohl dem der Ver-
gangenheit als dem der Gegenwart und die, mögen
sie noch so sehr historisch richtig erfunden sein,
sich ähnlich zur Vergangenheit verhalten, wie die
Wachsfiguren eines Panoptikums zur Kunst und Natur.
Mit alten Bauten verbunden sind aber solche stil-
treue Rekonstruktionen, die den alten künstlerischen
Charakter des Baues vortäuschen wollen, ohne ihn auch
nur annähernd tatsächlich erreichen zu können, eine des
 
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