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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Editor]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1908

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Heft 4
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Tietze, Hans: Ein gefährdeter Bau Jakob Prandauers in St. Pölten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26206#0076
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Hans Tietze Ein gefährdeter Bau Jakob Prandauers in St. Pölten

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Fig. 36 St. Pölten, Bischofstor, Außenansicht (Phot. Imbery)

Schon der Gesamteindr^ick ist entscheidend;
wir finden einen jener durch die Lichtbehandlung so
ungemein reizvollen Durchblicke, die Prandauer so
gern geschaffen hat (vgl. das Hauptportal des Stiftes
St. Florian in Kunst und Kunsthandwerk, 1899, 48);
wie in dem schönen Klosterhofe in Dürnstein ist hier
reicher Baumwuchs zur Verstärkung der pikanten
Architekturwirkung mit herangezogen, wir blicken
durch eine dunkle, tiefschattende Baumallee und durch
den zweiten Torbau hindurch in einen hell erleuch-
teten Hof des ausgedehnten Gebäudekomplexes. Ein
verwandtes Spiel von Licht und Dunkel zeigt auch
das 1718 errichtete Hauptportal des Stiftes Melk
(Fig. 37), dessen Abbildung eine weitere Beweisfüh-
rung für die Urheberschaft Prandauers eigentlich
überflüssig macht. Dasselbe Verhältnis von Hauptportal
und Nebenflügeln; die Bänderung der Wandteile, die
von glatten Pilastern gegliedert werden; die kräftige
Profilierung der letzteren, das mächtig ausladende
Kranzgesimse, der von schattender Rahmung einge-
faßte Flachgiebel, der gelagerte Figuren trägt. Wei-
teres Detail schließt sich an; die seitlichen Türen,
deren Keilstein die Rahmung der ovalen Nische
darüber durchschneidet und der Schmuckvase darinnen
als Sockel dient; eines der charakteristischesten
Motive Prandauers, das er immer wieder verwen-
det und das z.. B. ganz übereinstimmend an den

Eckpavillons des Melker Stiftsbaues wiederkehrt
(Fig. 38).

Daß Jakob Prandauer, den Propst Hieronymus
Übelbacher von Dürnstein in einer Aufzeichnung
„den fürnehmen Baumeister zu St. Pölten und viel-
leicht fürnehmsten in ganz Österreich“ nennt (Kunst-
topographie I, S. 90), in der Tat einer der größten
Künstler der glänzendsten Architekturperiode Öster-
reichs ist, wird jetzt mehr und mehr anerkannt. Das
Bild seiner persönlichen Art beginnt sich deutlicher
zu entfalten und wir sehen immer mehr, daß er unter
seinen großen Mitstrebenden am allerkräftigsten die
eigentlich österreichische Note vertritt. Österreichisch
ist seine Persönlichkeit, die Bescheidenheit, die ihn
auch dort den Titel eines Baumeisters beibehalten
läßt, wo er das Amt des Architekten übt, die ihn
einfache Aufgaben übernehmen und auch die tech-
nische Ausführung seiner Werke selbst leiten läßt;
österreichisch ist auch sein Kunstschaffen mit der
Freude am geschmackvollen Detail, mit der feinen
und kräftigen Sinnlichkeit der Formen, der heiteren
Buntheit der Gesamtwirkungen und dem ganzen
melodischen Rhythmus seiner Bauten1).

*) Eine ausführlichere Analyse seiner künstlerischen
Bedeutung enthält die Kunsthistorische Übersicht des
III. Bandes (Melk) der Österr. Kunsttopographie, der im
Juli 1909 erscheint.
 
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