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Klemm, Gustav Friedrich
Allgemeine Cultur-Geschichte der Menschheit: nach den beßten Quellen bearbeitet und mit xylographischen Abbildungen der verschiedenen Nationalphysiognomien, Geräthe, Waffen, Trachten, Kunstproducte u.s.w. versehen (Band 3): Die Hirtenvölker der passiven Menschheit — Leipzig: Teubner, 1844

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https://doi.org/10.11588/diglit.66507#0219
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Cultur.

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erzogener Kalmhk oder Mongole in keiner außerordentlichen Begeben-
heit des Lebens ohne den Rath und die geistliche Hülfe der Pfaffen
sich beruhigen; und noch im Tode müssen die Pfaffen um Unterricht
gebeten werden, wie und mit was für Gaukeleien die Leiche bestattet,
und von den nächsten Verwandten dieses oder jenes drohende Un-
glück abgewendet werden solle." Trotz dem aber ist es eine höhere Stufe
der Cultur, welche diese Pfaffenherrschaft einnimmt; wir aber müssen,
ehe wir unsere Aufuw.ksamkcit derselben ganz zuwenden, noch eine
Mittelstufe betrachten. Sie ist, wir alle niederen Stufen, vorüber-
gehend, und dasselbe große Reich, bas einst ganz der Knechtschaft
der Geistlichkeit hingegeben war, sehen wir jetzt, und zwar seit we-
nigstens anderthalbtausend Jahren, befreit von geistigem Drucke und
geistlichem Einflüsse. In China ist, wie im civilisirten Europa seit
Friedrich dem Großen, das kostbarste Gut des Menschen, die gesunde
Vernunft, in Ehren, und die, welche im freien Gebrauche derselben
sind, sind die Beherrscher der klebrigen, denen sie jedoch gern die Hand
bieten, um sie zu sich heranzubilden.
Die Cultur
der mongolischen Völker ist, was ihre materielle Grundlage betrifft,
ganz aus dem Hirtenthume hervorgegangen, sie hat aber durch den
lange fortgesetzten Einfluß der buddhistischen Lamen eine anderweite
Richtung und veränderte Fortbildung erhalten. Sie ist dadurch in
gewisser Hinsicht überzeitigt worden. Der Buddhismus ist eigentlich
ein Erzeugniß des seßhaften Lebens und ackerbauender Völker, wie
schon die gebotene Schonung aller lebenden Wesen, das strenge Ver-
bot der Tödtung jeder Art von Thieren zeigt. Dadurch, daß er
den Nomaden zugebracht wurde, hat er mancherlei Veränderungen
erlitten, er hat sich den bestehenden Verhältnissen gemäß umbilden
müssen, obschon seine Bekenner und Pfleger Schlauheit genug be-
sitzen., die strengen Vorschriften zu umgehen, und dennoch scheinbar
zu erfüllen. Es ist aber durch dieses fortgesetzte Streben die schlaue
List, die Heuchelei, welche die mongolischen Völker so sehr von den
höher gebildeten Jägervölkern unterscheidet, zum großen Theile hervor-
gerufen und genährt worden. Die Nothwendigkeit scheint diese Heu-
chelei sogar zu gebieten, wozu die Pfleger des Gesetzes selbst die
Hülfsmittel darbieten.
Die Buddhapriester haben den mongolischen Völkern die Schrift
zugebracht und eine ziemlich umfangreiche Literatur, die ursprünglich
meist legendarischen, exegetischen und asketischen Inhalts ist, doch auch
die Sagen, Helden - und Herrschergeschichte der Mongolen erfaßt hat.
Außer der alten, aus dem Süden stammenden tangutischen Sprache
und Schrift, dem Enetkäk, welche, wie das Sanskrit, horizontal ge-
schrieben wird, hat man noch eine profane, perpendikulär von oben
 
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