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In ähnlicher Weiſe ſcheint er in demſelben Jahre das Bild ſeiner Mutter
wieder lebendig gemacht zu haben in dem prächtigen Bildnis einer alten Dame
(in der Ermitage zu St. Petersburg), die in einer reichen, dem Phantaſiegeſchmack
Rembrandts entſprechenden Tracht daſitzt, mit den Händen auf der zerleſenen
Bibel, die auf ihrem Schoße liegt.

Die Unzufriedenheit mehrerer Bürgerſchützen mit dem großen Porträtſtück
von 1642 hinderte nicht, daß Rembrandt fortwährend Bildnisbeſtellungen bekam.

Neben Porträten und porträtartig gemalten Studien, denen ſich das Bild
einer alten Frau, die Goldſtücke auf ihre Vollwichtigkeit hin prüft (in der Dres-
dener Galerie), anreiht, bringen die Jahre 1648 und 1644 wieder je eine in
kleinem Maßſtab ausgeführte Figurenkompoſition. Von 1643 iſt „Bathſeba“, in
der Sammlung des Barons Steengracht im Haag. Die junge Frau ſitzt, dem
Bade entſtiegen, in ihrem Garten, und zwei Dienerinnen ſind mit der Pflege
von Haar und Nägeln beſchäftigt; ſie ahnt nicht, daß der König ſie von ſeinem
entfernten Palaſt aus beobachtet, aber die Eitelkeit lebt in ihr. Das helle Fleiſch
der blonden Frau ſteht in prachtvoller Leuchtkraft vor den dunklen Tönen der
dichten Parkgebüſche; und ein bunter Teppich, auf dem ſie ſitzt, Schmuckſachen
und blinkende Metallgefäße, dazu ein Pfau im Vordergrunde, beleben die Kom-
poſition durch verſchiedenartige Farbenflecke. Von 1644 iſt „Die Ehebrecherin
vor Chriſtus“, in der Nationalgalerie zu London. Der Schauplatz iſt in den
Tempel verlegt, deſſen Hauptaltar man über der Erhöhung eines Einbaues ſieht.
Durch hohe Fenſter einfallendes Licht und ſchwebende Reflexe beleuchten den Vor-
gang, der ſich da zwiſchen intereſſierten und unintereſſierten Zuſchauern abſpielt.
Die Figuren, ganz klein im Verhältnis zu dem hohen Raum, ſind von der
höchſten Lebenswahrheit erfüllt; wir ſehen, von welcher Art die Worte ſind,
die jeder ſpricht.

Nur wenige Radierungen ſtammen aus dieſen Jahren. Ein Blatt von 1643
gibt die prachtvoll radierte Naturſtudie nach einer behaglich ruhenden Sau; mit
ein paar leichten Strichen iſt eine Bauernfamilie dazu ſkizziert, die ſich über das
fette Tier freut. Ein großes Landſchaftsbild, das man „Die drei Bäume“ nennt,
gibt in mächtiger Wirkung von Hell und Dunkel eine großartige Wetterſchilderung.
Der Sturm eines heranziehenden Gewitters bewegt die dunklen Kronen von drei
Buchen, die auf einer niedrigen Anhöhe vor weiter, flacher Landſchaft ſtehen; in
der Ferne türmen ſich hohe Wolken auf, und aus einer tief ſtreichenden Wolke
weiter vorn praſſelt ſchon der Regen nieder (Abb. 107). Die einzige Radierung
mit der Jahreszahl 1644 zeigt eine Schäferfamilie am Bach in einem gebirgig
anſteigenden Gelände, wie Rembrandt es in ſeiner Heimat nirgends ſah.

Zwei radierte Landſchaften von 1645 erſcheinen wieder ganz als ſchlichte
Wiedergaben der Wirklichkeit. Von der kleineren der beiden, die den Namen
„Die Sixbrücke“ führt, berichtet ein altüberliefertes Geſchichtchen die auch aus dem
Blatt ſelbſt mit Deutlichkeit ſprechende Tatſache, daß es unmittelbar nach der Natur
radiert iſt. Rembrandt wurde von ſeinem begüterten Freunde Jan Six häufig
auf deſſen Landgut mitgenommen. Bei einem dieſer Ausflüge, ſo wird erzählt,
bemerkte Six, als die Freunde ſich zu Tiſch ſetzen wollten, daß kein Senf da war,
und er ſchickte ſeinen Diener in das nahe Dorf, um das Fehlende zu holen; da
Rembrandt die Langſamkeit des Dieners kannte, bot er die Wette an, er werde
vor deſſen Nückkehr eine Radierung ausführen; er nahm eine der Kupferplatten,
die er bei ſich zu tragen pflegte, radierte die vom Fenſter ſich darbietende Aus-
ſicht und gewann die Wette. Das äußerſt ſeltene Blatt zeigt einen Steg an
deſſen Holzgeländer ſich zwei Männer lehnen; ein größerer und ein kleinerer Kahn
liegen auf dem Waſſer, das der Steg überbrückt; ein Segel und Häuſer, Bäume
und Kirchturm eines Dorfes überſchneiden in einiger Ferne den niedrigen Horizont;
im Vordergrund ein paar Bäumchen und hohes Gras. Es iſt in derſelben Weiſe
mit Umrißlinien gezeichnet, wie Rembrandt es bei ſeinen landſchaftlichen Stift-

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