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Synthese und interdisziplinär-makroregionaler Vergleich

NATÜRLICHER UMWELTWANDEL UND SEINE AUSWIRKUNGEN AUF DEN KULTURWANDEL

Die bisher behandelten archäologischen Quellen geben über
zahlreiche Aspekte des kulturellen Wandels Aufschluß. Wie
eingangs dargelegt, ist Kulturwandel jedoch nur eine spezi-
fische Form des Wandels, denn die Biosphäre unterliegt per-
manenten Veränderungen. Dieser natürliche Umweltwandel
kann - man denke etwa an Erdbeben, Vulkanausbrüche oder
Sturmfluten - unter Umständen erhebliche Auswirkungen
auf den Menschen und seine kulturelle Entwicklung haben.
Für unseren relativ kurzen Untersuchungszeitraum sind sehr
langsam verlaufende natürliche Prozesse, wie die meisten
tektonisch-geologischen oder biologisch-evolutiven Ver-
änderungen, zu vernachlässigen. Sehr viel kurzfristigeren
Schwankungen bzw. Trends unterliegt dagegen das Klima.
Um die Frage, ob für den kulturellen Wandel in der Eisen-
und der Römerzeit in Mittel- und Westeuropa Klimaverände-
rungen ursächlich waren, ist in den letzten Jahren eine heftige
Debatte entbrannt1351.
Während die traditionelle historisch-archäologische For-
schung epochale althistorische Ereignisse, wie die kelti-
schen Migrationen des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. oder
die Expansion des Römischen Imperiums nach Gallien und
Germanien, ausschließlich auf anthropogene politische oder
ökonomische Veränderungen zurückführte, werden von einer
Gruppe stärker naturwissenschaftlich orientierter Prähistori-
ker zunehmend auch paläoklimatische Faktoren diskutiert.
So vertrat z. B. Ch. Maise die These, daß die Mediterra-
nisierung der Späthallstatt- und Frühlatenekultur klimatische
Ursachen hatte: „Vor dem Hintergrund der klimatischen Ent-
wicklung ist es denkbar, daß während der Gunstphasen des
6. und 5. Jh. v. Chr. beträchtliche landwirtschaftliche Über-
schüsse erwirtschaftet werden konnten. Den darauf gegrün-
deten Wohlstand scheint die Oberschicht abgeschöpft zu
haben, die sich durch die Übernahme mediterraner Attribute
und reiche Gräber [...] von der übrigen Bevölkerung absetzte.
Dagegen erlaubte anscheinend die Ungunstphase des 4. Jh.
nur wenig mehr als die Sicherung der eigenen Subsistenz.
Teure Importe und Grossgrabhügel verschwanden“1352. Kurz
vor 400 v. Chr. habe schlagartig eine Kaltphase eingesetzt,

die durch einen Rückgang der Sonnenaktivität und durch
zwei starke, schwefelreiche Vulkanausbrüche um 413 und
406 v. Chr. verursacht worden sei1353. Nach Maise hatte die-
ser Klimasturz verheerende Auswirkungen auf die agrarisch
geprägten Kulturen Mitteleuropas und führte zur Aufgabe
von Wirtschaftsflächen, zur Verlagerung der Siedlungen in
die klimatisch milderen Niederungen und zur Auswanderung
von landsuchenden Gruppen. Die für das frühe 4. Jahrhundert
v. Chr. schrifthistorisch belegte Migration keltischer Gruppen
nach Italien und auf den Balkan erscheint vor diesem Hinter-
grund als primär klimatisch bedingt.
Noch weitreichender sind Versuche, die Ausbreitung rö-
misch-mediterraner Kulturerscheinungen nach Mitteleu-
ropa ursächlich auf ein „römerzeitliches Klimaoptimum“
zurückzuführen. In der konsequent klimadeterministischen
Gedankenwelt der amerikanischen Archäologin C.L. Crum-
ley1354 stellt sich die Romanisierung schlichtweg als Adapti-
on menschlicher Populationen an veränderte klimatische Be-
dingungen dar. Mit der Nordverschiebung der mediterranen
Klimazone, die zwischen 300 v. und 300 n. Chr. angeblich
auf der Höhe Hamburgs verlaufen sein soll, habe sich quasi
zwangsläufig auch die mediterrane Lebens- und Wirtschafts-
weise im Norden durchgesetzt: „The use of space, dass rela-
tions, patterns of inheritance, and forms of government asso-
ciated with mediterranean ecosystems all moved north along
with, but not entirely because of, the Roman conquerers“1355.
Auch für die nachrömische Geschichte Mitteleuropas, die
von einer erneuten Abkühlung geprägt gewesen sein soll,
macht Crumley klimatische Ursachen verantwortlich, denn
durch die Übernahme römischer Wirtschaftsformen hätten

1354 Crumley 1995.
1355 Ebd. 130.
1356 Ebd.
1357 Löhr 2000.
1358 Ebd. 185 ff.; Maise 1998 (beide mit ausführlichen Literaturzusam-
 
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