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Die Feldziige Sullas in Griechenland.
indirekte Vorlage zu ihrer Verfügung gehabt. Denn es ist nicht an-
zunehmen, dafs die militärischen Aufzeichnungen eines so klaren und
kühlen Kopfes, wie Sulla es war, trotz Übertreibungen und Glori-
fizierungen aus militärischen Unmöglichkeiten und militärischem Un-
sinn zusammengesetzt gewesen sind oder sich mit rhetorischen All-
gemeinheiten begnügt haben sollten. Auch geben die vielen noch
uns erhaltenen Lokalangaben, die von Plutarch aus der Umgebung
seiner Vaterstadt Chäronea zufällig erhalten sind, keinen Anlafs zu
solchen Vermutungen. Aber die beiden genannten Historiker, die
Sulla benutzten, waren als Militärschriftsteller Gröfsen dritten Ranges
und haben ihre Vorlage teils verkürzt und mifsverstanden, teils durch
Zusätze entstellt, so dafs es auf den ersten Blick schwer erscheint,
in ihren Berichten die Spreu von dem Weizen zu sondern.
Dazu kommt aber zweitens, dafs die militärischen Vorgänge
aufser von Leake bisher eigentlich von niemand ernstlich im Zu-
sammenhange mit der topographischen Lage der erwähnten Örtlich-
keiten in der Umgebung von Chäronea untersucht worden sind, so dafs
die Grundlage für ein Verständnis der einzelnen Operationen nicht
vorhanden war, ganz abgesehen davon, dafs man infolgedessen diese
Einzelvorgänge auch nicht recht in das grofse Ganze der militärischen
Lage hineinsetzen und fragen konnte, welche Bedeutung ihnen inner-
halb dieses Rahmens zugekommen ist. Dieser Mangel macht sich
aufser in den älteren Darstellungen auch in der Reinachs fühlbar, die,
so verdienstvoll sie sonst ist, doch gerade in militärischer Beziehung
nicht ganz auf der Höhe der Gesamtleistung des Verfassers über
Mithridates steht und eine Anzahl von militärischen und topographi-
schen Unmöglichkeiten enthält, deren sich der Darsteller nicht be-
wufst geworden ist1).
Die natürliche Folge dieser Lage ist es gewesen, dafs der
neueste Bearbeiter dieser Ereignisse, H.Delbrück2), geglaubt hat,
auf jegliches positive Resultat endgültig verzichten zu müssen, und
in den uns erhaltenen Berichten nur „die Produkte der dürftigen
Phantasie eitler Rhetoren" erblickt, die den Dingen selber ganz
gleichgültig gegenüberstanden, und aus deren Erzählungen daher auch
schlechterdings nichts zu lernen sei.
!) Mithradates Eupator von Th. Reinach. Deutsch von A.Goetz. Leipzig 1895.
2) Geschichte der Kriegskunst I 400 f.
Die Feldziige Sullas in Griechenland.
indirekte Vorlage zu ihrer Verfügung gehabt. Denn es ist nicht an-
zunehmen, dafs die militärischen Aufzeichnungen eines so klaren und
kühlen Kopfes, wie Sulla es war, trotz Übertreibungen und Glori-
fizierungen aus militärischen Unmöglichkeiten und militärischem Un-
sinn zusammengesetzt gewesen sind oder sich mit rhetorischen All-
gemeinheiten begnügt haben sollten. Auch geben die vielen noch
uns erhaltenen Lokalangaben, die von Plutarch aus der Umgebung
seiner Vaterstadt Chäronea zufällig erhalten sind, keinen Anlafs zu
solchen Vermutungen. Aber die beiden genannten Historiker, die
Sulla benutzten, waren als Militärschriftsteller Gröfsen dritten Ranges
und haben ihre Vorlage teils verkürzt und mifsverstanden, teils durch
Zusätze entstellt, so dafs es auf den ersten Blick schwer erscheint,
in ihren Berichten die Spreu von dem Weizen zu sondern.
Dazu kommt aber zweitens, dafs die militärischen Vorgänge
aufser von Leake bisher eigentlich von niemand ernstlich im Zu-
sammenhange mit der topographischen Lage der erwähnten Örtlich-
keiten in der Umgebung von Chäronea untersucht worden sind, so dafs
die Grundlage für ein Verständnis der einzelnen Operationen nicht
vorhanden war, ganz abgesehen davon, dafs man infolgedessen diese
Einzelvorgänge auch nicht recht in das grofse Ganze der militärischen
Lage hineinsetzen und fragen konnte, welche Bedeutung ihnen inner-
halb dieses Rahmens zugekommen ist. Dieser Mangel macht sich
aufser in den älteren Darstellungen auch in der Reinachs fühlbar, die,
so verdienstvoll sie sonst ist, doch gerade in militärischer Beziehung
nicht ganz auf der Höhe der Gesamtleistung des Verfassers über
Mithridates steht und eine Anzahl von militärischen und topographi-
schen Unmöglichkeiten enthält, deren sich der Darsteller nicht be-
wufst geworden ist1).
Die natürliche Folge dieser Lage ist es gewesen, dafs der
neueste Bearbeiter dieser Ereignisse, H.Delbrück2), geglaubt hat,
auf jegliches positive Resultat endgültig verzichten zu müssen, und
in den uns erhaltenen Berichten nur „die Produkte der dürftigen
Phantasie eitler Rhetoren" erblickt, die den Dingen selber ganz
gleichgültig gegenüberstanden, und aus deren Erzählungen daher auch
schlechterdings nichts zu lernen sei.
!) Mithradates Eupator von Th. Reinach. Deutsch von A.Goetz. Leipzig 1895.
2) Geschichte der Kriegskunst I 400 f.