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Künstlerselbsthilfe
Die Künstlerselbsthilfe: Zeitschrift für Kunst und Literatur: Periodica — 1.1927

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Nr. 1
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Klein-Lörk, Robert; Rilke, Rainer Maria [Gefeierte Pers.]: Dem toten Dichter
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Rilke, Rainer Maria: Der König: (Neue Gedichte, Inselverlag)
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Rilke, Rainer Maria: Von den Mädchen: (Buch der Bilder, Inselverlag)
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https://doi.org/10.11588/diglit.67650#0014

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Dem
toten Dichter
Rainer Maria Rilke ist tot. Mit ihm ist nicht nur Deutsch-
land, sondern der ganzen Welt der verlorengegangen, der die Sprache
der Lyrik am zartesten zu meistern verstand, der wie kein anderer
unserer Tage der Menschen Freud und Leid zu erfühlen und auszu-
drücken -vermochte, der der Jugend unserer Generation trotz allem
Expressionismus der Gestalter ihrer menschlichen Sehnsüchte war.
„ Aus dunklem Wein und tausend Rosen rinnt
die Stunde rauschend in den Traum der Nacht " —
Sein Leben war ein seherisches Wandeln, unbeschwert von
allem Irdischen, und doch tief verwurzelt im Leid und Elend. —
Er trank den Schmerz der Menschheit in sich und dunkelschwer
entströmten die tiefen, weichen Mollakkorde seinem Herzen,
anklagend und doch eine einzige Harmonie religiösen Friedens.
Im Höhepunkt seines Schaffens, da die ganze Welt, hoffend
der Offenbarung neuer Verklärung wartete, ist er von dieser Welt
gegangen. Er hatte zuviel Herzblut in seine Dichtung gegossen,
so blieb ihm zu wenig sein Leben zu erhalten. Seine beiden
letzten Schöpfungen „Sonette an Orpheus" und die „Duineser
Elegien“ lassen nur ahnen, was wir an ihm verloren haben.
R. Klein-L.

Der König
Der König ist sechzehn Jahre alt.
Sechzehn Jahre und schon der Staat,
Er schaut, wie aus einem Hinterhalt,
Vorbei an den Greisen vom Rat
In den Saal hinein und irgendwohin
Und fühlt vielleicht nur dies:
An dem schmalen langen harten Kinn
Die kalte Kette vom Vlies.
Das Todesurteil vor ihm bleibt
Lang ohne Namenszug.
Und sie denken: wie er sich quält.
Sie wüßten, kennten sie ihn genug,
Daß er nur langsam bis siebzig zählt
Eh' er es unterschreibt.
(Neue Gedichte, Inselverlag)

Von den Mädchen
Andere müssen auf langen Wegen
Zu den dunklen Dichtern gehn;
Fragen immer irgendwen,
Ob er nicht einen hat singen seh’n
Oder Hände auf Saiten legen.
Nur die Mädchen fragen nicht,
Welche Brücke zu Bildern führe;
Lächeln nur, lichter als Perlenschnüre,,
Die man an Schalen von Silber hält.
Aus ihrem Leben geht jede Türe
In einen Dichter
Und in die Welt.

(Buch der Bilder, Inselverlag £

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