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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Levin, Th.: Die Porträtgalerie in Herrenhausen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0054

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Die Porträtgalerie in Herrenhausen.

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Jn erstcr Reihe nenne ich das Bildnis des Her- i
zogs von Cumberland, Ernst August, nachmaligen
Königs von Hannover, in der Uniform dcr englischen
Cumöerland-Husaren, welches als ein ganz eigenarti-
gcs koloristisches Virtuosenstiick, tvic der dlns von
Gainsborough, in der Kunstgeschichte wohl eine Stelle
als „roter Herzog" verdient. Das Werk war bisher
als ein Original von Lawrence bezeichnet. Es ist in-
dcs, wie ich aus dem Kupferstich von Skelton er-
wciscn konnle, das Meisterstück des weniger berühniten
William Owen. Der Herzog steht im roten Dolnian,
der aus das prächtigste mit goldenem Schnurwcrk besetzt
ist, und in enganschließenden Hosen von gleicher Farbe,
in nngarischen goldgelben Lederstiefeln, den Kalpak in
dcr herabhängenden Rechten, den schwarzblanen Pelz
über der linken Schulter in einer leicht angedeuteten
Landschaft mit ganz nicdrigem Horizont vor bewölkter
Luft. Diefe Tieflegnng des Hvrizonts, auch von
Franz Krüger bci Darstcllung königlicher Personcn mit
Vvrliebe angewendet und vielleicht den Engländern
abgesehen, ist ein eigcncs Mittcl, den Eindruck sürsl-
licher Macht und Vornchmheit zu crhöhen. Es zwingt
den Beschauer gleichsani in den Slanb. Während der
Kopf unseres Bildes bei näherer Prllfung hinter den
durch die Gesamtwirkung erregten Erwartungen zurück-
bleibt, die Hände sich als schwach erweisen, muß die
Lvsung dcr koloristischen Aufgabe als ein Meisterwerk
erstcn Rangcs bezeichnct werden. Ein nvch so be-
währter Künstler dcs Kontincnts würde sich heute mit
dcm Rvt schwerlich abznfindcn wisscn, daraus abcr den
höchsten malerischen Reiz zu ziehen, ist cin Berdicnst,
das anzuerkennen die moderne Kunst sichcr nicht an-
stehen wird. Mit dem klntergang der Traditivn in
Deutschland steht in unmittelbarem Zusammenhange
die Erscheinung, daß jetzt fieberhaft nach den Geheim-
nissen getastet wird und man den Stein der Weiscn
in dcr „Fleckenwirkung" gesunden zu haben glaubt.
Das Wort hat seine wvhl zu achtende Bedeutung,
aber der Sinn wird durch übertriebene Betonung ge-
sälscht nnd geradezu pygmäenhaft müssen die lediglich
auf die Erreichnng des einen Ziels gerichteten Bc-
strebungen der Gegenwart, die Gott sei Dank darauf
nicht ausschließlich angewiesen ist, neben dcm Wurf
dieses englischen Kllnstlcrs zweiten Ranges erscheinen.
Die Ohnmacht gegenüber den Mitteln, der Mangel
an Erkenntnis ihrer AnSbeutnngsfähigkcit steht noch
immer als Mauer zwischen uns und den Alten. Es
verdient übrigenS betvnt zu werden, daß die cnglische
Schule auch noch in dcn Leistungen nnserer Tage eine
besondere Affektion für ein dem Zinnober nahestehen-
Les Rot nnd außerordentliches Gcschick, diesen schrillen
Tvn in dem kolvristischem Akkord glücklich zu verwerten,
bcknndel.

Am glänzendsten istLawrence vertretcn, für den
außerdem noch ein Meisterwcrk ersten Ranges in der
Sainmlung Kvnig Georgs, das Bildnis des Lord
Canlerbury, Kniestück in krapplackrotem Frack mit Bein-
klcidcrn von gesättigtem Grau vor grünem Vorhang,
in Belracht kommt. Das erregt sreilich die Bor-
stcllung von bunter Disharmonie. Aber der Maler
weiß es besser. Alles stimmt zu dem spirituellen Kopf
von solidester Technik, — eine Gesamtwirkung, die man
nicht genug bewundern kann.

Jn cincr ganz anLercn Tonart hat dcr Künstler
seinen Pitt komponirt, ein Bildnis, das mächtiger er-
greift, als es die beste Darstellung eines bedeutenden
Vorganges aus dem Leben Les Staatsmannes ver-
möchte. Jn schwarzem Frack, schwarzer Kniehose und
Strümpfen steht der jugendliche Minister in seinem
Zimmer neben dem Arbeitstisch. Hier bewundert man
zunächst das unnachahmliche Geschick, mit welchem der
Meister in das Schwarz der verschiedenen Stoffe kolo-
ristisches Leben gezaubert hat. Kraft, Klarheit, Har-
monie bei lebhaftem Wechsel und doch nur wenige
Mittel der Palette dazu aufgewendet. Der Ausdruck
der geistigen Macht, der von der schmalen, weit vor-
tretenden, leicht gewippten Nase und dem feinen Munde
niit dünnen Lippen fast noch mehr bestimmt wird als
von dem Blick der großen Augen, dominirt über das
Machwerk, was bei Lawrence keineswegs immer der
Fall ist. Jn England würde das Bild einen ähnlichen
Sturm hervorrusen wie 1876 Gainsborvughs Por-
trät der Herzogin Giorgiana von Devonshire. Es ist
mir übrigens, nicht aus stitistischen, sondern aus
äußeren Gründen, ein Zweifel an der Autorschast bei-
gekommen. Der Maler, wclcher durch ein Bildnis
von Pitt seine Glanzzeit inaugurirte, ist W. Owen.
Der Stich nach diesem Werke von H. S. Goed dürste
in Dentschland nicht leicht aufzufinden sein. Möglicher-
weise haben wir in deni besprochenen Bilde das Ori-
ginal. Für die Beurteilung wäre dcr Unistand gleich-
gültig. Als immerhin interessantes Kuriosui», dessen
Mitteilung ich dcm unterrichteten Kastellan verdanke,
erwähne ich nvch, daß das große Schreibzcug aus dem
Arbeitstische Les Ministers sich jetzt im Silberschatz deü
Herzvgs von Cumberland in Gniunden befindet. Ernst
August, cin begeisterter Verehrer des großen Staats-
ninnnes, wie fchon die Vereinigung von vier verschic-
denen Porträtdarstellungen beweist — außer dem Bilde
noch drei Marmorbüsten —, gehörte zu der kleinen
Anzahl von Freunden, die zur Dcckung der von Pitt
hinterlassenen Schutdcn unter sich eine Versteigerung
seincS Mobiliars veranstalteten. Das Schreibzeug
wurde dem Herzog von Cuniberland für 2000 Pfd.
zugeschlagen. Das ^ Gesnmtergebnis ermöglichte noch
 
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