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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Der Bau der Frucht- und Mehlbörse in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0357

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701

Der Bau der Frucht- und Mehlbörse in Wien.

702

Der Bau der Frucht- und Mehlbörse in N)ien.

Alle Welt klagt in Wien über wirtschaftlichen
Verfall, über das Darniederliegen der Künste, vor
allem der Architektur. Unser neulicher Architekturbericht
aus der Donaustadt hat diesem Schmerz gleichfalls
Ausdruck gegeben. — Da kommt nun die seltene Ge-
legenheit für die Wiener Architektcn, ihre Kräfte zu
messen, etwas der neugeborenen Kaiserstadt Würdiges
hinzustellen, und so recht aus der Fülle der „uner-
schöpflichen Hilfsguellen" des Reiches, von den Ver-
tretern der Agrikultur und aller mit ihr verbundenen
Handels- und Verkehrszweige ist der Ruf dazu an sie
ergangen.

Wer nur halbwegs Verständnis und Sinn für
derartige Aufgaben besitzt, muß von vornherein aner-
kennen, daß der Bau einer neuen Frucht- und Mehl-
börse in Wien eine eminent künstlerische Aufgabe
ist. Mit einem bloßen Zweckmäßigkeitsbau ist es da
nicht gethan! Die Bedeutung der Korporation, der
architektonische Charakter Wiens, der Geist unserer
Epoche verlangen das Gegenteil: sie drängen auf eine
würdige, schönheiterfüllte Lösung hin. Wem die Zu-
kunst der Wiener Baukunst, die Entwickelung der Stadt
am Herzen liegt, wer nicht selbstzusrieden mit dem
Geschehenen ausruft: L.prb8 nons ls äölnAo, — der
muß dieser Auffassung beipflichten und mit uns darauf
hinzuwirken suchen, daß nur ein Künstler von Geist
und Beruf den wichtigen Bau zur Ausführung bringe.

Wie die Leser bereits aus einer Notiz in der
Kunstchronik wissen, hat die Jury drei der zum Wett-
kampf erschienenen Wiener Architekten (und nur Ein-
heimische konnten sich an dieser Bewerbung beteiligen)
mit dem Prcise gekrönt: Prof. K. Kvnig (Motto:
„Kybele"), v. Wielcmans und Reuter (Mottv:
„Korn und Kern halten Hungersnot fern") und die
ebenfalls mit einem gemeinsamen Projekt unter dem
Motto: „Sesam" aufgetretenen Architekten K. May-
reder und v. Löw. Außerdem wurden die Projekte
der Architekten O. Hofer und O. Wagner zum
Ankaufe vorgeschlagen und dieser Ankauf auch aus-
gcführt.

Von den speziellen Bedingungen, welche das Pro-
gramm vorzeichnete, fallen besonders zwei ins Ge-
wicht; zunächst das Erfordernis einer breiten Passage
zwischen der Taborstraße, an welcher die Hauptfassade
des Gebäudes zu stehen kommt, und der rllckwärts
parallel mit ihr laufenden Mohrengasse; sodann die
Verlegung des großen Börsensaals in den ersten Stock,
und als Folge davon die Bedeutung der Treppen-
anlage.

Prüft man unter Festhaltung des oben voran-
gestellten Hauptgesichtspunktes und mit Rücksicht auf

diese wesentlichen Programmbestimmungen das Urteil
der Jury angesichts der öffentlich ausgestellten Pro-
jekte, so kann man mit der Entscheidung sich fast
durchgängig einverstanden erklären. Nur in einem
Punkte bekennen wir unumwunden anderer Ansicht
sein zu müssen: was nämlich die Preiskrönung des Pro-
jektes mit dem Motto: „Sesam" betrifft. Der klar
und übersichtlich disponirte Grundriß hat mnnches
Gute. Dagegen ist die Durchbildung des Aufbaues
im Jnneren und Äußeren vvn solcher Nüchternheit, sv
jederKraft und Empflndung bar, daß wir darin eher das
Werk irgend eines Büreaubaumeisters aus der Epoche
des Kaisers Franz als die gemeinsame Arbeit zweier
strebsamer junger Architekten aus Ferstels Schule vor
Augen zu haben glaubten. — Wie man mit einfachen
Mitteln eine stattliche Wirkung erzielen kann, ohne zu
solcher Kahlheit herabzusinken, zeigt das beachtenswerte
Projekt von Hvfer (Motto: „Cyane"). — Anch der
Entwurf mit dem Mottv „Ceres" (dem Vernehmen
nach von Köchlin und Ferstel jun.) hat vieles
Schöne, vornehmlich einen prächtigen Saal mit reich-
dekorirter Gewölbedecke. — Hand und Erfahrung
zweier bewährter Meister (Fellner L Helmer ?) be-
kündet das Projekt „Viridns ruritm 1886". — Aber
bei aller Anerkennung der diesen Leistungen und noch
einigen anderen im Einzelnen zuzugestehenden Vorzüge
kehrt der Blick des Beschauers doch immer wieder zu
zweien der preisgekrvnten Arbeiten als zu denjenigen
zurück, in welchen der Geist der gestellten Aufgabe
im Ganzen mit kllnstlerischem Sinn erfaßt und in dcn
wesentlichen Punkten zu einer glücklichen Lösung durch-
gedrungen ist. Es sind dies die Projekte von König
und v. Wielemans.

Beide haben sich daran erinnert, daß uns ja für
einen Bau, wie der in Frage stehende, Motive von
grundlegender Bedeutung von der Geschichte darge-
boten werden: in der Marktbasilika der Rvmer und
in dem Saal des mittelalterlichen Kaufhauses. An
letzteren knüpft v. Wielemans an, bringt den Saalbau
im Äußeren zu charaktervollem Ausdruck, und hat im
Jnneren durch Aufnahme der modernen Eisenkonstruktion
den von ihm gewählten spätmittelalterlichen und Re-
naissanceformen lebendigen Reiz abzugewinnen gewußt.
Leider ist sein Grundriß als verfehlt zu bezeichnen; er
zeigt eine Menge kleiner unregelmäßig disponirter
Räume und läßt namentlich in Bezug auf die Be-
leuchtung derselben manches zu wüuschen übrig. —
Von meisterhafter Klarheit und Zweckmäßigkeit ist da-
gegen die in zwei Varianten vorliegende Grundriß-
disposition von König, in welcher zunächst auf den
wirkungsvollen und gut beleuchteten Treppenraum und
im Anschluß daran nuf den großen, als mächtige drei-
schiffige Säulenbasilika gedachten Hauptsaal das Schwer-
 
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