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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Haendke, Berthold: Defregger als Historienmaler
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0257

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Defregger als Historienmaler. — Kunstlitteratur.

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den können, zu verherrlichen, dieser Versuch erscheint
uns deswegen als ein sehr glücklicher. — Jn der
Genremalerei hat man doch mit feinhorchendem Ohr
die zarten und gemütsinnigen Töne des deutschen Her-
zens vernommen; weshalb erhorcht man nicht auch die
markigen?

Der Zug unserer Zeit und daniit der der Kunst
geht aber auf das Genrehafte hin. So hochwichtig
die Geuremalerei ist, so darf sie dennoch nicht alles
überwnchern. Man durchwandere die Säle unserer
Kunstausstellungen, unserer Museen sür neuere Kunst
— wer fiihlt sich da nicht an eine Schrift unseres
genialen Kulturhistorikers W. H. Riehl, an seine
„Familie" und insbesondere an das Kapitel: Emanzi-
pation von den Frauen" erinnert!? Riehl wirft dort
einnial die Bemerkung hin, es sehe aus, als ob die
Galeriedirektoren zwci Drittel der Gemälde mit Rück-
sicht auf deu Geschmack der Frauen hin ankauften.
Vielleicht könnte man den Satz dahin erweitern, daß
uian sagt, daß vier Fünfteile von den Künstlern aus den
Geschmack der Frauen hin arbeiten — und dieser ist
„der Zug unserer Zeit". Es ist doch gewiß auf-
fallend, daß in einer so großen, gewaltigen Epoche,
wie die ist, in der wir leben, so wenig der Sinn für
den großartigsten Zweig der Kunst, die Historien-
malerei, im Publikum geweckt ist. Man kommt nicht
mit der Erklärung aus, daß gerade in so bewegten,
männlichen Zeiten der Mensch sich gerne an sinnigen,
gemütvollen Zügen erguicke uud erfreue. Eine kurze
Weile würde diese Kost munden, bald aber würde sie
als natnrwidrig zurückgewiesen werden. Der eigent-
liche Grund ist vielmehr das Moment, das Riehl so
wunderbar kurz und treffend als „Überweiblichkeit"
bezeichnet. Wie weit ist es mit dieser modernsten
Macht scbon gekommen, wenn in unserer Zeit das
Rococo wieder siegreich einzieht! Wenn Frauen be-
ginnen, die besten Studentenlieder zu dichten, wie tief
ist da Lie alte deutsche, männliche Burschenherrlichkeit
gesunken! — Allerdings lassen sich auch die Frauen
ausstellen und prämiiren, was an eine ganz andere
Art von „Ausstellung" erinnert.

Wie begierig unsere Historienmaler nach Stoff
sind, beweist z. B. die schnelle Durcharbeitung des
Materials von 1870. Man betrete doch nur die
Bahn, die Defregger eingeschlagen hat, und man wird
genügend Vorwürfe sinden! Es wird uuseren Damen
vielleicht nicht gesallen, wenn sie Blut fließen sehen, das
nicht der salonsähige Degen vergossen hat, oder derbe
männliche Kraft in Armen und Händen sehen, die keine
Handschuhe anhaben, auch können unsere weibischen
„Elegants" ihren Vorrat an sentimentalen Phrasen
nicht mehr anbringen — uun denn, dann male man sür
Männer, dcren es ja Gott sei dank noch gar mauches

Tausend in deutschen Landen giebt. Gerade in unserer
Zeit, iu dcr die Genremalerei mit so glücklichem Ge-
sühl und so großem Erfolg die „Einkehr iu das Volks-
tum" durchgesührt hat, sind der Histvrienmalcrei die
Wege geebnet wie nie. Man erzähle dem deutschen
Volke von seinen Heldenkämpfen für Sitte und Recht,
man erziehe das Volk wieder zu seiner alten, selbst-
bewußten Kraft und Treue, damit die Bedientenseele,
jenes Erbteil des 18. Jahrhunderts, wieder aus ihm
ausgetrieben werde. Es giebt keine bildende Kunst,
die unmittelbarcr sittlich erziehlich wirken kann, als
die Malerei. Sie erfülle ihre Pflicht! Der Keime
sind genug vorhanden, sie locke sie nur hervor und
pflege sie! Wie an der Hand der Litteratur des
18. Jahrhunderts das deutsche Volk wieder zu sich selbst
zurückgeführt wurde, so kann in unserer Periode die
Malerei eines der mächtigsten Mittel sein, um das
halberwachte Gefühl sür Volksgröße wieder ganz zu
wecken und zu kräftigen.

Wer nnr ernstlich nachforschen will in der deutschen
Geschichte der letzten 200 Äahre, der kann noch manche
moralisch wichtige That finden, die vom Volke vollbracht
ist. Geht man weiter zurück, so verlicrt man einen
großen Vorteil, den, daß die Ereignisse dann schon wie
fremde erscheinen, während die des angegebenen Zeit-
raumes, trotz aller äußercn Berschiedenheit, viel leichter
als „eigene" behandelt werden können. Die Künstler
brauchen ja, nach der allerdings jetzt so beliebten Manier,
nicht so sehr den Kostümkenner herauszukehren. Die
Kiinstler aber, die ihre Kunst in obigem Sinne an-
wenden wollen, können direkt erziehlich auf das
deutsche Bolk einwirken und sich als die bedeutendsten
Mitarbeiter an der Wiederaufrichtung des Bolkscharak-
ters betrachten.

Defregger aber reiche man den Lorbeer eines
Historienmalers und zwar eines bahnbrechenden!

Berthold Haendkc.

Aunstlitteratur.

Busken-bfuet, K., Rembrandts Heimat. Autori-
sirte Übersetzung, herausgegeben von G. Freiherr
von der Ropp. Erster Band. Leipzig 1886,
T. O. Weigel. ,

Der Titel des Buches, welches einen in den
letzten Jahren viel besprochenen, ebenso bewunderten
wie getadelteu holländischen Gelehrten zum Verfasser
hat, läßt auf cinen kunsthistorischen Jnhalt schließen.
Um so mehr verblüffen die Überschristen der einzelnen
Kapitel: Oliver von Köln, Äohann von Blois, Thomas
von Kempen, Erasmus von Rotterdam u. s. w. Was
haben diese Männer denn alles in der Welt mit der
hvlländischen Malerei, insbesvndere mit Rembrandt zu
 
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