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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Haendke, Berthold: Defregger als Historienmaler
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0256

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Defregger als Historienmaler.

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flochten hat. Weshalb soll nun das Defreggersche Bild
kein Historienbild sein, vbwvhl der Nieister all und
jedes, das irgendwie an das Genre erinnern kvnnte,
vermieden hat? Jst nicht die Grundlage bei beiden
Schöpfungen dieselbe? Jst es nicht gleichgültig, ob
ein Mensch für die Jdee der Religion oder für die
der Vaterlandsliebe den Tod erleivet? Kann n>an
Jdeen abwägen? Gerade bei diesen beiden Bildern
kann man die Parallele auf das genaueste durchführen.
Hinter beiden Märtyrern steht das Volk — nur daß
bei dem Böhmen das folgt, was bei dem Tiroler vor-
herging, der Heldenkampf eines Stammes um eines
seiner edelsten Gllter.

Defregger hat aber auch der sormalen Seite der
Historienmalerei Genüge geleistet, indem er in Ver
Komposition und Zeichnung die einfache, große Linie
herrschen ließ. Zudem ist noch zu bemerken, daß die
Figuren die Lebensgröße überschritten haben. Trotz
des sonst so tiefen Einflusses der französischen und bel-
gischen Schule ist dennoch in der deutschen Genre-
malerei jeder Art das kleinere Format bisher im all-
gemeinen als Grnndregel beibehalten worden.

Das zweite reine Historienbild unseres Meisters
hat ebenfalls die Verherrlichung einer Bolksthat zum
Vorwurf. Die heldenmütige Tapferkeit dss „Schmieds
von Kochel" bot Desregger Anlaß, den patriotischen,
vaterlandsliebenden Sinn der Bayern zu feiern.

Es gilt die Erstürmung der Stadt München, um
die Einwvhner wie das ganze Land von der drücken-
den Hand der Feinde, der Osterreicher, zu befreien.
Das Landvolk ist herangekommen und berennt mutig
das Thor, um den Eingang zu erzwingen; denn der
geheime Vertrag der Städter mit den Bauern, diesen
die Thore zu öffnen, war verraten worden. Vergebens
ist mancher wuchtige Schlag gegen die schweren Pfor-
ten von den Schmiedehämmern jener wackeren Bur-
schen dort an der Thür geführt worden, als der grcise
Schmied von Kochel mit gigantischer Kraft einen
Schürbaum gegen die THUrflügel schmettert — aber
es ist auch vergebens. Von seinen Genossen ist man-
cher bereits in Len Staub gerollt und bald müssen
alle den Platz räumen. Den Moment dieser letzten,
verzweifelten Kraftanstrengung hat uns der Künstler
mit der ihm eigenen unmittelbaren Anfchaulichkeit
vor Augen geführt.

Man hat auch dies Gemälde ein „historisches
Genrebild" genannt. Vielleicht wegen des „genre-
haften" Zuges, rechts vor der Thür einen Buben mit
einem Karren hinzustellen? Findet der in seiner Zu-
gehörigkeit zu einem Volksheer nicht seine genügende
Erklärung? Wir sind nur eben gar zu sehr jetzt dar-
an gewöhnt, Schlachtenbilder von Soldaten zu sehen,
um uns gleich vor einem Gemälde, das uns einen

Kampf von Streitern in der Bauernbluse vorführt,
sagen zu können: dies ist ebenfalls ein Historienbild.
Der Sturm auf die Höhen von Spicheren wird zahl-
los als „Historienbild" behandelt — ist die Sache im
Grunde nicht dieselbe, ist der ideale, d. h. der maß-
gebende Hintergrund nicht zum mindesten derselbe?
Der Schmied von Kochel ist hierder Träger der „histo-
storischen Jdee", der srei aus dem Bolke heraus er-
wachsenen Begeisterung für Sitte und Recht, für die
Befreiung des Vaterlandes sein Blut zu vergießen.
Diese heiligste Jdee cines Volkes hat dcr Meister
wie im ersten Bilde in Hoser, so hier im Schmied
von Kochel verkörpert. — Was oben bei dem erst-
genanntem Gemälde über Komposition, Lineament und
Größe der Figuren gesagt wurde, trifst hier ebenfalls
zu — überall tritt der einfache, auf das Große ge-
richtete Sinn hervor.

Das dritte Historienbild Defreggers: Maria mit
dem Kinde, brauche ich hier nicht zu erwähnen — es
ist als „Historienbild" anerkannt worden.

Das moderne Historienbild hat, wer will es leug-
nen, einen schweren Stand. Die alte religiöse Histo-
rienmalerei ist heute noch weniger lebensfähig als zur
Zeit der Reformation. Der historisch nüchtern ver-
standesmäßige Zug unserer Tage, verbunden mit einer
tieferen, geistigeren Auffassung der Religion läßt es nicht
zu, daß so holde, herzinnige Schöpfungen entstehen wie in
den goldenen Zeiten der deutschen Kunst. Die wenigen
Versuche, die gemacht worden sind, laffen, im allgemeinen
gesprochen, auch wünschen, daß sie lieber unterblieben
wärcn. Wir werden entweder durch dieselben pein-
lich berllhrt, da sie so häufig „gemacht" und nicht
„geworden" erscheinen, oder sie verletzen geradezu,
wie so manche Werke der neuesten Realisten. Es
ist denn doch bei allem berechtigten Streben nach
Natur nicht gestattet, uns einen gräßlich verrenkten
Christus, eine nervöse, krampfbehaftete Maria u. s. w.
vorzusühren.

Das zweite, große Gebiet: die Heldensage deut-
scher Vorzeit, ist in unserem Jahrhundert von Mei-
stern, an deren Spitze Cornelius steht, behandelt wor-
den, so daß, trotz aller Fruchtbarkeit des Stoffes an
siäs, nur wenigen Künstlern es einstweilen gelingen
möchte, hier wieder mit Erfolg einzusetzen.

Die Thaten unserer großen Ahnen aus fernen
Zeiten aber so zu erfaffen, daß sie gleichsam aus der
Seele des Bolkslebens geboren erscheinen, dies vor-
nehmste Verlangen zu erfüllen, ist nur sehr, sehr weni-
gen Künstlern beschieden. Der Griff Defreggers, näher
liegende, wenn auch in der großen Weltgeschichte nicht
so schwerwiegende Ereigniffe zu verkörpern, Thaten, die
vom Volke vollbracht sind und noch heute wie
aus der unmittelbaren Gegenwart gesehen wer-
 
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