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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Rosenberg, Adolf: Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke in der Berliner Nationalgalerie, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0104

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Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke in der Berliner Nationalgalerie,

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chromer Herstellung cils nicht stichhaltig ablehnen
müssen, auch wenn sie in Wachsfarben so maßvoll unb
lebendig ausgeführt sind wie z, B. die Bemalung der
Herkulaneischen Matrone aus Dresden vou Ludwig
Otto. Die Einwirkung des Licht und Farbe aufsaugen-
den Gipses macht die Absicht des geschicktesten Malers
zu Schanden. Über die Versuche, Gipsabgüsse mit
Olfarben und mit Gold zu bemalen, wollen wir gar
nicht reden. Namentlich in Bezug auf Vergoldung
sind Dinge zu tage gefördert worden, vvn denen man
am besten schweigt, um nicht das Gedächtnis von
Toten und die Empfindlichkeit von Lebenden zu ver-
letzen. Die meisten der Künstler, welche Gipsabgüsse
kolorirt haben, waren sich offenbar nicht der furcht-
baren Kritik bewußt, welche eine Zusammenstellung
solcher Versuche allein durch die Logik der vorhandenen
Thatsachen übeu kann, Um nur einen Überblick über
das Material der Ausstellung, soweit es die Antike be-
trifft, zu geben, nennen wir von modernen Wieder-
herstellungsversuchen ein Fragment aus dem Parthenon-
friese auf Goldgrund und mit vergoldeten Fleischteilen
von dem verstorbenen Karl Cauer in Kreuznach, ein
Versuch, der ebensowenig gelungen ist wie eine selb-
ständige Schöpfung desselben Künstlers „Nymphe und
Amor", eine Gruppe aus vergoldetem und mit Ol-
farben bemaltem Gips, ferner einen Herakopf aus
Olympia, bemalt von Konrad Fehr, einen Musenkopf
aus der Dresdener Antikensammlnng, in Wachsfarben
bemalt von L. Gey, die Medusa Rondanini aus
Cement, bemalt von Prof. G. v. Koch, und eine Pans-
maske aus Dresbeu, in Wachsfarben bemalt Vvn
Prof. Kießling. Neben die beiden letzteren Restaura-
tionsversuche sind die weißen GipSabgüsse zum Ver-
gleich aufgehängt worden, unv dieser Vergleich fällt
unzweifelhafl zu Gunsten der farbigen Restaurationsver-
suche aus. Man darf aber dabei nicht vergessen, daß
diese Masken eine bekorativ-architektonische Bestimmung
gehabt haben, daß also hier noch andere Momente
mitwirken als bei einem rein plastischen Kunstwerke,
Wenn wir nun aber auch wirklich ein vollkommen be-
malles Marmorwerk aus dem Altertum besäßen, an
welchem wir bie Absicht der Alten deutlich zu erkennen
vermöchten — was wäre damit gewonnen? Es giebt
ja pompejanische Wandmalereien, auf welchen bemalte
Marmorstatuen dargestellt sind, die uns einen ziemlich
sicheren Anhalt bieten, wenigsteus für den Geschmack,
der im ersten Jahrhundert n. Chr. herrschend war,
Sollen wir aber mit unserer bei weitem mehr ent-
wickelten Maltechnik, mit unseren viel weiter vorge-
schrittenen koloristischen Anschauungen undTendenzen auf
den immerhin naiven Standpunkt der Alten zurück-
kehren? Unter anderen hat Böcklin eingesehen, daß
diese Rückkehr unmöglich ist, indem er einen von Bruck-

mann in Hottingen bei Zürich modellirten Gvrgoschild
aus Gips mit lackirter Ölfarbe, d. h. mit reichstem
koloristischen Aufwand bemalte, Jn demselben Grade,
wie sich unser plastischer Stil gegenwärtig von dem
klassischen Jdeal entfernt hat, wird sich auch die Be-
malung plastischer Kunstwerke unsercr mehr naturali-
stischen und individuellen Formenbehandlung anschließen
müssen. Und damit kommen wir wieder auf das
Springersche Postulat zurück, nach welchem schon von
vornherein bei der Anlage eines plastischen Werkes auf
die Polychromie Bedacht genommen werden soll.
Springer äußert auch in Bezug aus die gegenwärtig
herrschende Richtung in der Plastik ein meines Erach-
tens entscheidendes Bedenken gegen bie Polychromie
von Marmorwerken, Er bezweifelt nämlich, ob dieser
Stil, „welcher malerische Esfekte bereits in die plastische
Forrnenbehandlung hineinlegt, die Einführung der
Polychrvmie begünstigen wird. Er nimmt viele Effekte
vorweg, welche in der polychromen Skulptur der er-
gänzenden Farbe vorbehalten bleiben," Naturalistische
Bildhauer wie R. und C. Begas, gelegentlich auch
Schaper, Schweinitz und andere, haben sich damit be-
gnügt, Marmorwerke gelblich zu tönen, wodurch schon
der Eindruck warm pulsirenden Lebens erreicht wurde,
ohne daß sie ihre Zuflucht zu einer vollkommenen Be-
malung in Wachsfigurenmanier zu nehnien brauch-
ten, Sollte die von Prof, Springer angedeutete
Meinung von der Überslüsiigkeit der Bemalung bei
naturalistisch und malerisch konzipirten Bildwerken nicht
auch schon unter den Bildhauern des Quattrocento und
der späteren Renaissancezeit, denen man die Einfllh-
rung farbloser Marmorskulpturen zuschreibt, maßgebend
gewesen sein? Es giebt unzweifelhaft getvnte Mar-
morbüsten und Reliefs aus dem 15. und 16. Jahr-
hundert. Wir haben Büsten und Reliefs von Desi-
derio da Settignano, Mino da Fiesole und Antonio
Rossellino gesehen, welche mit einer Wachslösung oder
einem ähnlichen gelblichen Farbstoff überzogen waren,
und auch unsere Ausstelluug besitzt die getönte Mar-
morbüste eines Grimani von Alesiandro Vittoria. Es
wäre auch gar nicht denkbar, daß dieselben Künstler,
welche naturalistisch bemalte Thonbüsten vor Augen
hatten und gelegentlich wohl selbst anfertigten, bei der
Ausführung von Marmorwerken plötzlich ihr Farben-
gefühl verloren haben sollten. Sie hielten die Färbung
bei dem Vorwiegen malerifcher Elemente in ihrer plasti-
schen Ausdrucksweise nur für überflüsiig, weil sie die
malerische Wirkung bereits durch die Behandlung des
Materials zu erreichen hofften.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir durch
die Ausstellung nur diese eine Aufklärung erlangt
hätten. Aber es kommt noch ein anderes hinzu. Unter
den selbständigen Versuchen unserer Künstler sind un-
 
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