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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Rosenberg, Adolf: Die Menzel-Ausstellung in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0121

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Die Menzel-Ausstellung in Berlin.

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an welchem die Jahre so spurlos vorübergegangen sind
wie an nnserem Menzel. Es ist jedem unbenommen,
dies und jcnes an Menzels Schöpfnngen bizarr, ge-
schmacklos, übertrieben und häßlich zu finden. Aber
es kann niemand auch nnr eine einzige Arbeit des
sicbzigjährigen Greises namhaft machen, an welcher
irgend etwas kindisch oder blöde oder technisch unbe-
holfen ist. Gerade im letzten Jahrzehnt ist Menzel
in einem Grade, der zu seinem Alter in keinem Ver-
hältnis steht, geistig und technisch gewachsen, daß die
Arbeit einer ganzen Künstlergeneration kaum aus-
reichen wird, um Gleiches hervorzubringen.

Es ist keineswegs dcr spezifisch preußische oder
berlinische Patriotismus, der uns zu svlchcn Lobes-
erhebnngen reizt, obwohl die letzteren schon durch das
im größten Stil der Histvrie aufgefaßte nnd dnrch-
geführte Gemälde „Friedrich der Große in der Schlacht
bei Hochkirch" (1856, im Besitz Sr. Maj. des Kaisers),
welches ganze Bataillone Düsseldorfer und Münchencr
Historienbilderaufwiegt,vollkommen gerechtfertigtwären.
Es ist die Universalität Menzcls, welche uns diese
Bcwunderung abzwingt. Man hat gesagt, daß Menzel
kein Verständnis für weibliche Anmut und Schönheit
habe, nnd ebensv ist sein Berhältnis zur Antike mit
spöttischen Augen betrachtet worden. Menzel liebt cs,
jeden Beweis schlagend zu liefern, nnd er konnte da-
her nichts Besseres thun, als eine im Jahre 1873 aus-
geführte Bleistiftzeichnung nach den beiden lagernden
Göttinnen im Ostgiebel dcs Parthenon auszustellen,
welche alles hinter sich läßt, was moderne Künstler
nach der Antike gezeichnet haben.

Dic Ansstcllnng, wclche wir einem aus dcn Herrcn
Jvrdan, Hertcl, v. Donop, I. Lessing, P. Meycrheim,
Pächter und Dorgerloh bestehenden Komitee verdanken,
hat uns ferner einen Einblick in den Entwickelungsgang
des Meisters gestattet. Wir haben dnrch zwei Jugend-
arbciten erfahren, wie sich Menzel in gläubiger Demut
an den Kunstheroen seiner Zeit emportastete. Eine
Bleistiftzeichnung, welche der dreizehnjährige Knabe
nach einer fremden Aufgabe angefertigt, eine römische
Scene „Publius Cornelius Scipiv nnd Lncius Cäci-
lius Metellus", erinnert an die Davidsche Schnle, in
der pathetisch-theatralischen Anffassung besvnders an
den „Schwur der Horatier", und eine in Feder- und
Tuschzeichnung ausgeführte Komposition, „Sokrates den
Giftbecher nehmend" ist vhne Zweifel unter dem Ein-
flusse der Zeichnungen von Carstens entstanden, welche
letzterer der Akademic eingesandt und welche diese als
Pfand für seine Vorschüsse behalten hatte. Diese
klassischen Reminiscenzen sind nur Kuriositäten im
Werke Menzels, der sich sehr bald von allen aka-
demischen Regeln unabhängig machte und die Wcge
einschlng, welche zu dem allgemein bekannten Ziele

geführt haben. Wenn auch die Ausstellung seine ersten
Versuche in der Olmalerei nicht wieder an den Tag
gebracht hatte, so bietet sie doch dasjenige Bild, in
welchem Menzel alles zusammengcfaßt hat, was es bis
zu seinem 24. Lebensjahre in der Kunst der Charak-
terisirung, der Komposition und der Öltechnik gelernt
hatte, den „Gerichtstag" (1839, in Besitze des Herrn
Th. v. Schneider in Berlin). Wenn wir nicht wüßten,
daß die belgischen Bilder, welche eine große Revolution
in den koloristischen Anschauungen der deutschen Maler
zur Folge hatlen, erst 1842 nach Berlin gekommen
sind, so würden wir glauben, daß dieses Gemälde,
welches alles, was um dieselbe Zeit in Berlin gemalt
worden, weit hinter sich zurückläßt, unter dem Einfluß
der Belgier entstanden sei. Jndessen gehen sowohl die
glänzenden koloristischen Leistungen der letzteren als auch
die crsten Versuche Menzels auf dieselbe Quelle, aus
die Franzosen, und zwar ebensosehr auf die Roman-
tiker wie anf den damals sehr angesehenen Jsabey und
auf Delaroche. An Jsabey erinnern die eigen-
tümlich scharfen Lichter, an Delaroche die Behandlung
der Kostüme und die histvrische Auffassung. Dic
letztere wirkt nvch, sogar mit einiger Hinneigung zur
deutschen Romantik, in zwei Gemälden aus den Jahren
1847 nach: „Predigt in der Klosterkirche zu Berlin"
und „Gustav Adolf empfängt seine Gemahlin Vvr dem
Schlosse zu Hanau" (beide ini Besitz der Frau Milner
zn Groß-Lichtcrfelde bei Berlin). Jn die folgende
Periode (1852—1865) fallen dann jene Bilder aus
dcr Geschichte Friedrichs des Großen, welche Menzels
Rnhm zuerst in weiteren Kreisen begründet haben,
nnd das große Krönungsbild, welches auf nnserer
Ausstcllung dnrch den der Nationalgalerie gehörigen
ersten Entwurf vom Jahre 1861 und dnrch eine Reihe
von Porträtstudien vertreten war. Eine aus Anlaß der
Weltausstellnng vou 1867 unternvmmenc Reise nach
Paris führte in Menzels Anschauungs- und Dar-
stcllnngsweisc einen Umschwung zu jencm freien Natu-
ralismus hcrbei, Len man heute fast impressionistisch
nennen möchte. Dieser Umschwung spricht sich am
dentlichsten in einer Reihe von kleinen Gemälden aus,
deren charakteristische Eigentümlichkcit die Anhäusung
von Menschenmassen ist, welche der Znfall zusammen-
geführt hat. Es sind gewissermaßen flüchtige Mvment-
bilder, in denen nur die Natur, welche die Folie bildet,
das Bleibende ist. Wie znfällig und zusammengewür-
felt diese Menschen aber auch erscheinen mvgen, sv
wird man doch bei genauereni Studium, haben nnr
erst die bunten Farbenflecke Gestalt gewonnen, inne
werden, daß jede Fignr ihre individnellen, zum Teil
äußerst humorvoll wiedergegebenen Charakterzüge hat.
Zu dieser Reihe gehören: „Sonntag im Tuilerien-
garten" (1867, im Bcsitz der Frau S. Meyer in Ber-
 
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