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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Noch einmal Wereschagin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0144

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Noch einmal Wereschagin.

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werm der Himinel sich niit schweren Schneewolken
nmdüstert. Viel Berwandtes hat Matejko, wenngleich
desien Kunst im Grnnde eine ganz anderc ist. Dem
polnischen Maler gchört ja nur die Vergangenheit
seiner Nation, dein rnssischen die Gegenwart und Zn-
knnft! Sein Pinsel eilt den Bajonetten nach Jndien
voran und bringt die feenhaften Paläste von Delhi,
Agra rc. vorläusig gemalt in russisches Eigentuni;
der Pomp des kiinstigen Kaisers von Jndien wird in
cinem Riesengemälde vorgesührt, — um dem Prinzen
von Wales damit zu schmeicheln? Daß auch Palästina
in die russischen Zukunftspläne aufgenommen ist, da-
für bietet längst das russische Hospiz in Jerusalem
ein stilles Zeugnis. Auf einem strategisch wichtigcn
Pnnkte gelegen, krystallisirt sich der Bau ganz unver-
sehens zur festen Citadclle. Auch nnch diesem geheilig-
ten Boden hat sich Wereschagin bereits begeben und
Land und Leute seiner Kunst botmäßig gemacht.

Wie sein Stoffgebiet, so spezifisch eigentünilich ist
auch die Technik Wereschagins. Trotz der kolossalen
Produktivität hat er sich in Zeichnnng und Farbe von
Manieren rein gehalten. Der Schwerpunkt seines
Könnens liegt in der unmittelbaren Wiedergabe des
Vorhandenen. Was sein Auge erfaßt, das wird ohne
weitere künstlerische Umgestaltung dnrch die Farbe der
Leinwand überliefert. Ein Komponiren giebt es bei
Wereschagin nicht. Er schneidet scin Viereck keck aus
der Wirklichkeit heraus und kümmert sich wenig um
Symmetrie, schön abgewogene Bordergründe, Licht- und
Schattenverteilung rc. Auf seiner „Hinrichtung der
russischen Nihilistcn" finden wir im Vordergrunde halbe
Figuren, lebensgroß, dann einen freien Platz und
im Hintergrunde in grauem Nebel die Galgen-
galerie. Alles ist starr und stiimm. Endlos sallen die
Schneeflocken vom Himmel und bedecken als Leichen-
tuch die Unglücklichen. Das Gemälde gchört zu den
ergreifendsten von Wereschagins Hand; wer es gesehen,
wird es nie vergessen. Jn den Landschaften verschmäht
der Künstler jedwede subjektive Stimmung. Er läßt
das Motiv wirken, wie es in der gemeinen Alltags-
beleuchtnng erscheint. Studien im Detailwcrk kennt
er nicht; weshalb manche seiner Bildcr den Arbeiten
eines talentvollen Ansängers nicht unähnlich sind. Die
Farben sitzen unvermiltelt neben einander ohne Duft
und Luft. Die große Ausicht dcs Krcml zeigt diese
Eigentümlichkeiten und Schwächen in eklatanter Weise.
Bersucht abcr Wercschagin cinmal eine Stimmnngs-
landschast zu malen, dann ist keine Landschaft mehr
darin vorhandcn; cinen Beleg hierfür bietet der
„Morgen im Himalaja".

Wer die unmittelbare Wiedergabe dcs Bor-
handenen auf seine Fahne schreibt, lveiß anch die
Dienste der Photographie zu schätzen. Die Mchrzahl

der Wereschaginschen Architekturbilder zeigen cine, man
könnte sagen, „wörtliche" Benutzung dcr Kollodion-
aufnahmen, selbst mit ihren Mängcln. Jn solche
vergrößerten Photographien ein paar betende Mos-
lims hineingestellt — und das Gemäldc ist sertig.
Unter den Studien aus Palästina sanden sich mehrere
architektonische und landschaftliche Veduten, zumeist mit
biblischen Reminiszenzen. Jn einige größere Bilder
setzte der Künstler auch legendarische Staffagen, selbst-
verständlich im plattesten Realismus, wie ihm eben die
Modelle an Ort und Stelle begegneten. Daß er sich
dabei verleiten ließ, in einigen Gemälden die Stafsagen
zur Hauptsache werden zu lasien, hat ihm wohl Re-
klame gemacht, aber wenig Lorbeeren eingetragen. Wir
meinen die erwähnte „Heilige Familie" und die „Auf-
erstehung Christi". Der Künstler wollte zur Realität
der Örtlichkeit die Realität der Legende gesellen. Wie
Renan aus den Landschaftsbildern die Bilder des
Lebens Jesu entwickelte, so wöllte Wereschagin zu
seinem realistischen Hintergrunde biblische Scenen
malen; damit ist er aber in mancher Beziehung schlecht
gesahren. Wenn Alma Tadema ägyptische, griechische
oder römische Scenen, mögen dieselben den Königs-
palästen oder den Hütten der Proletarier entnommen
sein, mit oft bestechendem Realismus darstellt, so hat
er für jeden Pinselstrich in seinem Bildc sichere Be-
lege, entweder aus der Kunst oder der litterarischen
Überlieferung jener Bölker. Der Realist findet durch
sorgfältige Studien in den klassischen Landen nicht
niinder sicheren Boden als an den Ufern des Nil.
Nicht so klar liegen aber die Dinge am Jordan. Die
dort wurzeluden weltgeschichtlichen Vorgänge wurden
frühzeitig von der Poesie des Glaubens mit deni
Hauche der Jdealität umhüllt; verschwommen und
unsicher sind ihre Umrisie, wenngleich der Kern stets
geklärter und leuchtender hervortritt. Für den Nealistcn
wird dieses Terrain schon aus diesem Grunde ein
gefährliches sein; denn religiöse Bilder haben ja nicht
bloß den Verstand zu befriedigen: mehr oder minder
sind sie sür jeden Herzenssache, und cin Künstler wird
bei allem Streben nach Wahrheit zum mindesten dic
Poetische Schale, in welcher der Kern nnf unsere Tage
gekommen ist, nicht völlig ignorircn dürscn, soll sein
Werk nicht mit unserer Empfindung in direktcn Wider-
spruch geraten. Gebhardt behandelt ja auch die christ-
lichen Legenden als Realist, und ebenso hat Munkaczy
dcm trockenen Nazarcnerstil den Rücken gekehrt, aber
in der Tvnart Wereschagins die Vergangenheit Palä-
stinas zu malen, das hat bis heute noch kcin Künst-
ler sich erkühnt. Diese galizische Judenfamilic — denn
als solche wird jedermann auch ohne Katalog Werc-
schagins „Heilige Familie" anschen — hat bei deni
gebildeten Publikuni jeder Konfession nur Heiterkeit
 
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