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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Levin, Theodor: Eine vergessene Arbeit Adolf Menzels
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0160

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307

Eine vergessene Arbeit Adolf Menzels.

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kurzen Süulen ruhen auf hohen vierseitigcn Sockeln.
Das ganze Gebäude ist mit einer flachen Gesimsplatte
von geringer Ausladung gedeckt und erhebt sich über
einer zweistufigen niedrigen Basis. Konstruktiv un-
möglich — auf der rechten Seite ist eine als Stütze
notwendige Säule weggelassen, um den Ausblick auf
die Landschaft zu erweitern, — hat die Architektur doch
einen vornehmen und malerischen Charakter. Auf
einer unterhalb des Fußbodens in fünf Seiten des
Achtecks vorspringenden Platte, welche rein ornamental
gedacht ist und durch ein darunter angesetztes, aus
einem Fratzenkopf, Shawls und Bandwerk im Dreieck
komponirtes Ornament einen Abschluß erhält, steht
Tizian in der Erscheinung, wie ihn das Bild im Berliner
Museum zeigt, beziehungsweise denken läßt. Seine rechte,
hoch emporgezogene Hand hält die hinter ihm links
auf dem Boden Les Gebäudes, also erheblich höher
stehende christliche Neligion in Gestalt einer jugend-
lichen Frau im romanisirenden Jdealkostüm mit
weitem Mantel, auf deren Stirnbinde man die Buch-
staben Ibilkl tiest. Mit der Linken weist sie nach vben
gegen den Hintergrund, wo iiber dem Vorhang durch
den Rundbogen im Jnnern der Kapelle das Bild einer
Madonna und eine Reihe davor angezündeter Kerzen
schwach sichtbar sind. Tizians Kopf und Blick richtet
sich zu der Frau empor. Links zur Seite des Mei-
sters sitzt eine alte Sibylle, mit über den Kopf ge-
zogenem Gewanv, ideal drapirt, und hält mit beiden
Händen das halbaufgeschlagene, mächtige Buch der Ge-
schichte vor sich auf den Knieen. Übrigens könnte diese
Figur auch als Mann gelten. Von vorn rechts eilt
Amor heran und reicht dem Meister ein BUndel Pfeile.
Hinter ihm zur Seite Tizians ein jugendliches Weib,
das mit der rechten Hand die Palette erfaßt, die er
über dem Daumen Ler linken hält. Sie weist ihn mit
Ler zurückgestreckten linken Hand zur Natur hin, die
sich in einer nach der Auffassung Tizians empfundcncn
und mit leichten Mitteln erschöpfend skizzirten Land-
schaft im Durchblick durch die Arkade darstellt. Jm
Hintergrunde derselben zwei nackte Knäblein. Das
vordere zeigt, die Beine in weitem Schritt vor ein-
ander dargestellt, einen Kranz in der erhobenen Linken
und hält einen zweiten in der Hand dcs nach hinten
abwärts gestreckten rechten Armes. Dahintcr sitzt das
andere am Boden, den Rücken dem Beschauer zuge-
kehrt, und vollendet das Geflecht cines Kranzes. 2n
dcr Arkade links, durch wclche man auf eine leicht be-
wegte italienische Ebene mit Bergansatz und Andeutung
von städtischeni Gemäucr sieht, stehen, den Vorgang
betrachtend und durch Gebärden ihren Anteil aus-
drückend, zwei lorbeergekrönte Männer, in w'elchen man
die Dichter Ariost und Tasso zu erkennen haben dürfte.—
Der schöneGednnke,Tizian von den vier großenErregern

seines Kunsttriebes umworben zu zeigen, ist in voll-
endetster künstlerischer Erscheinung zur Anschauung ge-
bracht. Der Meister bewährt hier, wie so oft, sein monu-
mentales Stilgefühl, ans dessen Pflege er, stärkeren
Jmpulsen folgend, keinen Wert legen zu sollen ver-
meinte. Gezeichnet: Noinwl keo: 1839.

2. Zu dem Text: Die Klavierspielerin von Kaspar
Netscher, Seite III. Unter der 18. Zeile von oben,
halb in den deutschen, halb in den sranzösischen Text
einschneidend. Hvhe 82 nnn,- Breite 218 inm.

Gesellschaftszimmer eines vornehnien holländischen
Hauses in der Ausstattung um die Wende des 17.
Jahrhunderts. Die Wand im Hintergrunde durchbrochen
von einem dominircnden, sehr breiten Fenster mit
Kreuz und großen, fast quadratischen Scheiben, auf
welchen Glasmalereien ganz leicht angedeutet sind.
Zurückgenommene Vorhänge ohne Muster. Die Winkel
im Ansatz der Seitenwände nicht deutlich markirt, so
daß der Hintergrund als eine fortlaufende Wandflächc
wirkt. Links offene Thür mit starkem Gesims, auf
welchem Vasen und Krüge. 2n der lichten Öffnung
erscheint die Silhouette des eintretenden Malers mit
über dieBrust geschlagenem Mantel und breitkrämpigem
Hut in der herunterhängenden Linken, ganz Kavalier.
Hinter ihm sind noch drei Figuren angedeutet, dar-
unter eine weibliche, die Lem Beschauer den Rücken
kehrt. Der Blick des Malers fällt beim Eintritt aus
den Hauptvorgang im Salon. Hinter einer Staffelei,
auf der ein unvollendetes Damenporträt steht, sitzt
das jugendliche Original desselben in einem Sessel mit
sehr hoch ansteigender Rückenlehne zurückgebeugt in
schmachtender Stellung. Vor ihr links, doch weiter
zurück, steht der Arzt mit Kalotte und auf die
Schultern fallender Lockenfrisur, im Talarrock und
faßt mit der Rechten den Puls unter der rcchten Hand
der Dame, während sein Gesicht aus dem Bilde her-
ausschaut. Vor ihm weiter links der begleitende
Knabe als Assistent, mit dem halbgefüllten Kugelglase
in dcr Rechten, während der rechte Ellbogen den
breitkrämpigen Hut gegen die Brust drückt. Jn dcr
erhobenen linken Hand hält er niit drei Fingern ein
kleines Stück von einem unerkennbaren Stoffe, also
wohl ein Heilmittel. Weiter links am Boden ein
Kasten mit Medizinflaschen, dessen Deckel zurückge-
klappt ist. Dahinter in der ganzen Breite dcs Fensters
ein Tisch, auf welchem zwci Henkelkanncn und ein
hohes Stengelglas stehen. An der linken Seite beugt
sich die hinter dem Tische stehende Zose über densclben
gegcn den eintretenden Maler hin vor und bedeutet
ihm mit erhobener Rechten, daß er zur Unzeit komme.
Den Bordergrund rechts füllt zunächst das Kleid der
Dame im Stuhle halb deckend, ein niedriger Polster-
 
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