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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Obermayer, Eugen: Hans Canon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0192

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371

Hans Canon.

372

Canon einen ausgezeichneten Porträtmaler nennen.
Die Reihe seiner gelungenen Bildnisse beginnt unserer
Meinnng nach mit dem anmutigen geistvollen Porträt
der Frau Negina Friedländer. Die beiden am meisten
gepriesenen, weil am weitesten gereisten Brustbilder der
Baronin Bvurgoing und der Gräsin Schönborn sind
um ein Jahr spater gemalt, 1875, sie legen bereits
ein glünzendes Zeugennis ab sür Canons Sicherheit
und Leichtigkeit der technischcn Behandlnng. Das
kleincre Bild der Kronprinzessin, von 1881, in ganzer
Figur überaus zart und sorgsam gearbeitet, ist mit
Geist und Liebreiz wie gesättigt. Bedürfte es endlich
noch eines Beweises, daß Canons Pinsel selbst der
schwierigstenAufgabe des Bildnismalers, dem sogenann-
ten „individuellen Teint", gewachsen war, so Weisen wir
einfach aus die Bildnisse Smolka's (1883), Hauers und
des kunstsinnigen R. von Lanna (1883) hin. Von
jenen zahlreichen Bildnissen, die uns das Jahr ihrer
Geburt verheimlichcn, möge uns gestattct sein, nur eine
virtuose Leistung hervorzuheben. Der Dargestellte ist
ein Mann in den bestcn Jahren, der sich osfenbar mit
ernsteren Dingen als Hirngespinsten bcschäftigt; dcr
Kopf ist breit modellirt und doch im Ton mit großer
Feinheit abgeglättet, wohl eine künstige Zierde der
Galerie des regierendcn Fürsten von und zu Liechten-
stein, der als Eigentümer des Bildnisses angeführt wird.

Nun wären noch einige Bildnisse zu erwähnen,
vor welchen gar viele Besucher wic verduzt stehen
bleiben, weil sie so alte Bitder hier nicht erwartetcn;
sie staunen gewiß, wenn sie belehrt werdcn, sie stehen
hier vor den Konterseis von leibhaftigen Wienern,
einem Fürsten Salm, einer Gräsin Dubsky, ja sogar
mehreren Canons in Person. Mögen die guten Leute
sich allgemach fasscn, einem geistreichen Maler muß
man es immcrhin zu gute halten, wenn es ihm cinmal
beliebt, moderne Menschen zu travestiren und sic über-
dies uns durch jene schwärzliche Kruste sehen zu lassen,
welche gemeiniglich nur die schonungslose Zeit und ver-
dunkelnder Firnis zu erzeugcn vermögcii.

Von den Bildnissen habcn wir nur einen Schritt
zu den stehenden oder sitzenden Gestalten genrehaften
Charakters, den bildnisartigen Genrefiguren. Er führt
uns zuerst zu dem aus dem Jahre 1859 stammenden
„Fischermädchen", dem ersten entscheidenden Wiener
Erfolge Canons, und dann zu dem jüngeren „Rüden-
meister" (1866); beide sind srei von jeder Mauier,
kerngesunde Gestalten von poetischem Reiz trotz ihrer
prosaischen Schilderung; sie stehen noch auf eigenen
Fllßen, sie bewahren noch den persönlichen, den von
niemand abhängigen Charakter, der bald nachher —
aus Prinzip oder Laune? — immer mehr und mehr
zurücktrat. Woher es kam, daß Canon die Selbständig-
keit, das Vertrauen in seine eigene Kraft verloren, wir

wissen es nicht; doch war es keineswegs infolge un-
angenehmer Zurechtweisungen von seiten der Amateurs.
Genug, der sonst so herrische Dialektiker wußte deni
übermütigen Pathos des großen vlämischen Meisters,
des prachtliebenden, lichtverschwendenden, leidenschaft-
lich ungestümen Rubens nicht zu widerstehen. Daß er
ihm mehr abgeguckt, als wie er sich räuspert und wie
er spuckt, braucht bei einem Manne von so scharser
Beobachtungsgabe, so durchgearbeiteter Technik nicht erst
versichert zu werdcn. Trotzdem können wir uns nicht
entschließen, die verständnisinnige Nachahmung des
fruchtbarsten Farbenimprovisators aller Zeiten als
Canons wesentlichstes Verdienst anzuerkennen. Wir sind
vielniehr der Ansicht, daß ihm sein unleugbar großes
Talent, wenn er gewollt, in der Kunstgeschichte zu ciner
unabhängigen Stellung verholfen hätte.

Anfangs wird es wohl kaum einzig und allein
seine Vorliebe sür einschlagende Effekte gewesen sein,
die ihn zu der Gefolgschast des Rubens trieb; die all-
gemeine seit beiläufig 50 Jahren immer zunehmende
Beliebtheit des vlämischen Malerfürsten mag den streben-
den Ehrgeiz Canons auf diesen, wenn auch glänzenden,
Abweg geführt haben.

Schon in der zweiten Hälste des vorigen Jahr-
hunderts lehnte sich der Geschmack der Zeitgenossen
gegen die bis dahin unbestrittene Suprcmatie der italieni-
schen Kunst auf: Heinecken, der Direktor der Dresdener
Galerie, wagte 1747 die Sixtinische Madonna „ein
mittelmäßiges Machwerk" zu nennen; Knobelsdorf, der
Erbauer der Berliner Oper, hatte sogar fiir das letzte
Werk des unsterblichen Urbinaten nur den albernen
Spott, daß „hier ein Christus in einer kalten sibiri-
schen Luft zum Himniel fahre, während alle Anwesen-
dcn auf dem Vordergrunde sich über die Ausbrüche
eines von dem Teufel Besessenen wundern". Damals
waren die holländischen Kleinmeister die ausschließlichen
Lieblinge des Publikums. Da erschienen endlich die
bahnbrechcnden „Niederländischen Briefe" Schnaase's,
1834; sie drängten die schlichten, hausbackenen Hollän-
der hinter die prachtliebenden, deklamatorischen vlämi-
schen Meister, dercn Chorführer Rubens. Allein selbst
Schnaase, wie trat er für Rubens ein? Nicht etwa
wie ein begeisterter Blutzeuge, sondern wie ein vor-
sichtiger Sachwalter. Er verteidigte ihn nur gegen den
Vorwurf, „grobsinnlich, geschmacklos" zu sein, „mehr
zur Entwürdigung als zur Förderung der Kunst" bei-
getragen zu haben, und erklärte ausdrücklich, er wolle
es wahrlich „nicht unternehmen, alle oder auch nur
den größten Teil seiner Arbeiten zu verteidigen". All-
mählich hatte sich aber wieder eine Wandlung des
Geschmackes, der ästhetischen Mode, vollzogen, und eben
dieser kanm anerkannte Rubens ward zum Auserwähl-
ten aller Berufenen der Malerei ausgerusen. Canon
 
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