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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Gregorovius, Luca Ferdinand: Die Zerstörungen beim Umbau Roms
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0234

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455

Die Zerstörüngen beim Umbau Roms.

456

Verantwortlichkeit vor der ganzen civilisirten Welt über- !
»ommen hat.

Fünfzehn Jahre sind nunmehr verflossen, seit die
Jtaliener im Jahre 1871 die notwendig gewordene Er-
neuerung ihrer Hauptstadt begonnen haben. Jn diesem
Zeitraum ist vieles in Rom umgewandelt, viel >
Neues geschaffen, viel Zweckmäßiges eingerichtet worden. >
Allein die Neubauten finden im allgemeinen wenig Bei-
fall. Wenn ich nun Tadlern sage, daß der Zeitraum von
15 Jahren nicht grotz genug ist. um zu schaffsn, was Roms !
würdig sei, datz man warten müsse, bis trefsliche Kllnstler
zu wahrhaft grotzen Werken, wie sie Bramante, Michel-
angelo und Bernini ausgesührt haben, berufen werden, ^
so entgegnet man mir, datz die Athener nur fü»f Jahre I
brauchten, um die Propyläen, und wenig mehr, um den >
Parthenon aufzurichten; daß Sixtus IV. und Sixtus V. !
in wenigen Jahren Rom mit edlen Monumentalbauten
geziert, und daß sich vor unseren Augen die Städte Wien
und Berli» in kurzer Zeit prachtvoll erneuert haben.

Doch dies mag auf sich beruhen. Denn es giebt
andere, schwerer wiegende Vorwürfe, dis man diesseit der
Alpen gegen die heutige Umwandlung der Stadt erhebt
Es hat sich die Überzeugung gebildet, daß man in Rom
zu viel zerstört, um zu fieberhaft neu zu bauen, und es
sträubt sich die Vorstellung aller, die Rom lieben, dagegen,
den geschichtlichsn Charakter der Stadt, die zaubervolle
Schönheit und die einfame Majestüt so vieler ihrer Lokale >
für immer verschwinden zu sehen, an deren Stelle dann,
um das Kolosseum her, auf dem Coelius und Aventin,
nuf den Wiesen Nero's. um den Vatikan, ein Gedränge
gleichförmiger Stratzen mit ihren geistlosen Zinshäusern
entstehen soll.

Jch bin aufrichtig genug, Jhnen zu erklüreu, daß ich
das Gewicht dieses Vorwurfes nicht entkrüftcn kann. Denn
diejenigen, wclcho behauptcn, datz die Ausfüllung des
inneren Stadtgebietes bis an die Mauern Aurelians mit
neuen Stratzenvicrteln durch die wachsende Bevölksrung
der Hauptstadt Jtaliens geboten sei, werden durch das Da-
sein jsner weiten Räume widerlegt, welche die weise ädi-
licische Verwaltung der Alten in dsr Stadt immer offeu
gelassen hat. Das cäsarische Rom umfatzte eine so große
Volkszahl, daß dis moderne Hauptstadt Jtaliens sie kaum
in Jahrhunderten erreichen kann, und dennoch gab es in
jeuem ausgedehnte Strecken, wo schöu vereinzelte Pracht- I
monumente, Tempsl, Säulenhallen, Thermen und Theater !
dem landschaftlichen Reiz, den Villen und Gärten sreien
Raum lietzen, wie das Mnrsfeld, der Pincius, dis Carinen,
der Esquilin und Viminal, der Vatikan und Trastevere
beweisen.

Niemand begreift diesseit der Verge, welche zwingende
Notwendigkeit es geboten hat, die herrlichsten festlichen
Villen Roms in Bauplätze fllr das gemeine Bedürfnis des !
Werkeltages umzuwandeln. Dis Villa Ludovisi wird jetzt >
schonungslos zerstört, sie absr war ein Park für Könige !
und Weise, so zauberhaft und weihevoll, daß im Schatten
ihrer Lorbeerhaine und Cypressengänge auch Horaz und
Virgil, Marc Aurel und Dante mit Andacht würden ge-
wandelt haben, und so klassisch schön, daß sie würdig war, ^
dem erhabenen Götterbilde der Juno zwei Jahrhunderte >
lang zur Zufluchtsstätte zu dienen. Jch glaube, daß dort
jeder von der Axt des Bauunternehmers gstroffene Baum
einen Schmerzsnsschrei ausgestoßen hat, peinvoller als jener

deS verivundeten Baumes Piero's delle Vigne, welchen
Dante klagen hörte:

„Warum zerreiß'st Du mich?

Lebt denu in Deiner Seele keiu Erbarmeu')?"

Nichts hat, dessen seien Sie versichert, die öffentliche
Empfindung in Deutschland so schwer verletzt als die Ver-
nichtung dieser weltberllhmten Villa. Diejenigen, welche
dieses Todesurteil über sie verhängt und dann vollzogen
haben. hätten, ehe sie das thaten, die hochherzigen Worte
hören sollen, mit denen einst Belisar, der große Ver-
teidiger Roms, den Gotenkönig Totila ermahnte, die ewige
Stadt nicht zu zerstören- Er schrieb an ihn aus Portus:

„Die That der verständigen und des bürgerlichen
Lebens wohl kundigen Männer ist es, Städte mit schönen
Werken zu zieren, wenn sie solche nicht besitzen, das Thun
der Unverständigen aber, ihneu dis Zierden zu rauben
und dieses Brandmal ihrer Natur der Nachwelt ohne Scheu
zu hinterlassen. Von allen Städten, so viele die Sonne
bescheint, gilt Rom als die grüßts und merkwllrdigste.
Denn weder hat sie die Macht eines einzelnen Menschen
erbaut, noch ist sie in kurzer Zeit zu solcher Majestät und
Schönheit gedishen, sondern eine lange Reihe von Kaisern,
viele Genossenschaften der trefslichsten Männer, unzählige
Jahre und Reichtümer haben sowohl alles anders als auch
dis Künstler von der ganzen Erde dort zu versammeln
vermocht. Jndem sie nun diese Stadt, wie Du sie vor
Dir siehest, nach und nach erbauten, haben sie dieselbe
als ein Monument der Tugenden der Welt dsn Nachkom-
men zurückgelassen. so daß ein Vergehen gegen so Großes
mit Recht ein ungeheurer Frevel an den Menscheu aller
Zeiten sein würde. Denn die Vorfahren wllrde es des
Denkmals ihrer Tugenden, des Aublickes ihrer Werke aber
dis Enkel berauben."

Belisar fürchtete ohne Grund für Rom, denn der Held
Totila war kein Barbar. Erst Leonardo Aretino und an-
dere Geschichtschreiber in der Renaissance erfanden die
Fabel, datz Goten und Vandalen Rom zerstört haben. Jhre
Erdichtung hat die vorurteilslose Kritik auch der Jtaliener
beseitigt, und die Römer selbst wissen heute sehr wohl, von
welchen Zerstörern jahrhundertelang die Monumente Roms
als offene Steinbrüche und Kalkgruben ausgebeutet wor-
den sind.

Jch will Sie nicht damit aufhalten, Jhnen von den
immer lautsren Klagen Zeugnis zu geben, welche das neue
Schicksal der alten Ruinen Roms und der Verlust mancher
Denkmälsr des Mittelalters bsi uns erweckt, denn darüber
habe ich mich in einem anderen Briefe und haben sich be-
reits andere Auslnnder und auch Römer ausgesprochen.
Und auch Sie und alle Jhre Genossen der Nkademie der
schönen Künste, msine Frsunde und Mitbrüder, können von
dem bezaubernden Gemälde des alten Rom, welches das
Entzücken so vieler Menfchengeschlechter gewesen war und
jetzt für tmmer vergeht, nicht ohns tiefen Schmerz Abschied
nehinsn. Jeder Gebildets sieht mit Pein. daß dieRuinen
Roms ihrem geschichtlichen Rahmen und ihrer reizvollen
Verbindung mit der Natur für immer entrissen sind, und
jeder trauert über dsn heutigen Anblick des Forum und
des an dieses grenzenden Palatin. Jeder beklagt, was an
Monumenten des Mittelalters hingeschwunden ist oder
noch schwinden soll, wie der letzte der Türme der Orsini-

1) Inlei'uo XIII, ss.
 
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