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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Lübke, W.: Thorn im Mittelalter, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0274

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Thorn iin Mittelalter.

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charaktervolle Einfachheit und Strenge der Behand-
lung aus, besonders durch sparsame Anwendung von
Glasur- und Formsteinen. Man hat den Eindruck
einer Knnst, die noch von den Traditionen der Qnader-
technik sich nicht srei machen kann.

Unter den Kirchen gebührt an Alter St. Johann
der Vorgang, und zwar ist hier wiederum der gleich
den meisten preußischen Kirchen geradlinig geschlossene,
mit drei Gewölbjochen gewölbte Chor der älteste Teil.
Das mittlere Gewölbe zeigt die Sternform, wohl das
früheste Beispiel in Deutschland nnd vielleicht auch
früher als die englischen Beispiele dieser Gewölbform.
Das dreischiffige Langhaus, ursprünglich mit niedrigen
Seitenschiffen versehen, wurde später zu einem impo-
santen Hallenbau von 28 in Scheitelhöhe umgestaltet.
Besonders merkwürdig ist die Thatsache, daß die Fen-
stermaßwerke des Thores noch aus Haustein gebildet
sind, ein weiterer Beweis dafür, daß in dieser früheren
Epoche die Traditionen des Werksteinbaues noch vor-
walten.

Als den Höhepunkt, welchen der Backsteinbau im
Ordensgebiet erreicht hat, bezeichnet der Verfasser die
1309 begonnene Pfarrkirche St. Jakob. Hier ent-
wickelt sich die Backsteintechnik zu reicher künstlerischer
Durchbildung, namentlich gilt dies von dem glänzend
durchgeführten Chor, der wiederum rechtwinkelig schließt
und mit vier schönen Sterngewölben bedeckt ist. Das
Schlußgewölbe aber zeigt eine auch sonst gelegentlich
vorkommende Anordnung, welche einen Anklang an
den Polygonabschluß enthält, indem von zwei Stütz-
punkten in der Schlußmauer Diagonalrippen nach den
Seitenwänden sich ausspannen. Das Langhaus, in
Basilikenform mit niedrigen Seitenschiffen und weit
gespannten Gewölben angelegt, hat am Westende ähn-
lich wie bei der Johanuiskirche einen mächtigen vier-
eckigen Turm, der das letzte Quadrat des Mittel-
schiffes einnimmt. Wie an jener Kirche, wurden auch
hier später dem Langhause Kapellenreihen angefügt.
Ungemein reich ist die polychrome Wirkung, durch
reiche Anwendung grün und gelb glasirter Ziegel her-
beigeführt, die ehemals auch im Jnneren sich zeigte.
Von dem prachtvollen Effekt dieser Architektur giebt
eine große farbige Ansicht des Chores, einer der schön-
sten architektonischen Kompositionen dieser Art, eine
Vorstellung. Beachtenswert sind noch die reichen in
Thon gebrannten Jnschriften in gotischer Majuskel,
welche unter dem Kaffgesims den Chor umziehen.

Die gegen 1350 entstandene Franziskanerkloster-
kirche St. Maria ist ebenfalls eine Hallenkirche von
stattlichen Verhältnissen mit sechs Gewölbjochen im
Langhaus, einem wiederum gerade geschlossenen Chor
von vier Äochen, neben welchem nördlich eine aus dem
Achteck geschlossene Kapelle sich anschließt. Bezeichnend

ist für die äußere Erscheinung, daß die Strebepfeiler
am Langhaus nach innen gezogen sind, wodurch dem
Außeren eine gewisse Monotonie aufgeprägt wird.
Diese erhält durch das schwerfällige gemeinsame Dach
der drei Schiffe noch eine Steigerung, während ur-
sprünglich hier wie an den übrigen preußischen Hallen-
kirchen die auch in Holland vorkommende Anordnung
bestand, daß jedes Schiff sein besonderes Satteldach
hatte. Sehr originell und wirksam ist die Bekrönung
der Schlußmauer des Chores durch drei polygone
Türmchen, von denen das mittlere bedeutend höher
emporragt, und zwischen denen eine zierliche Giebel-
architektur angeordnet ist. Die Fenstermaßwerke sind
aus Backstein, aber in ziemlich nüchternen Formen aus-
geführt, übrigens haben die Fenster eine erstaunliche
Höhe, denn die Kirche selbst mit ihren Sterngewvlben
ist gegen 27 rn hoch und im Mittelschiff nur 10 in
breit. Von der ehemaligen, in drei Giebeln aufgeführ-
ten Westfassade bringt der Verfasser nach einer alten
Zeichnung eine Abbildung. Sie erinnert an diejenige
der Trinitatiskirche in Danzig, nur daß letztere etwas
reicher entwickelt ist. Auch von der Klostermauer mit
ihren Thoren und Zinnenkränzen bringt der Verfasier
eine Abbildung, die sür moderne Bauten einen wohl
zu verwendenden Anhaltspunkt gewähren dürfte. Von
den mittelalterlichen dekorativen Werken der Kirche
seien die Reste eines Flügelaltars und die prachtvollen
aus Eichenholz geschnitzten Chorstühle erwähnt.

Eine der imposantesten Schöpfungen der Profan-
baukunst in Preußen ist das altstädtische Rathaus, ein
Rechteck von 48 zu 52 m, das sich um einen ursprüng-
lich durch vier Thore zugänglichen bedeutenden Hof
gruppirt. Von dem Bau des Äahres 1259 ist nur
der gewaltige Turm erhalten, der gegen 40 ui hoch
aufragend, ehemals durch ein hohes von vier achtecki-
gen Türmchen flankirtes Sitzdach bekrönt wurde. Un-
gemein wirksam ist auch jetzt noch durch die vorkra-
genden Ecktürmchen die Silhouette des Ganzen, nicht
minder aber seine Gliederung, die durch ein System
von Blendnischen bewirkt wird. Gegen Ende des
14. Äahrhunderts wurde der übrige Bau erneuert und
dabei ebenfalls eine Anordnung von hohen Mauer-
blenden verwendet, in welche die Fenster der einzelnen
Stockwerke eingeschlossen sind, eine Anordnung, wie wir
sie an der Cuba und Zisa bei Palermo und auch sonst
noch im Orient antreffen. Die Renaissance fügte
Giebel und Ecktürmchen hinzu, welche mit ihren reichen
Formen dem gewaltigen Massencharakter des Baues
ein malerisches Element beigesellen. Die Anordnung
des Änneren, welche der Verfasser in zwei Grundrisien
anschaulich macht, war die, daß über einem auf kurzeu
Granitsäulen gewölbten Keller das Erdgeschoß Waren-
hallen enthielt, während das obere Stockwerk einen
 
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