571
Dis Eröffnung dsr Jubiläumskunstausstellung in Bsrlin.
572
gewitter ohns gleichen, desssn Zeuge Ew. Majestät vor
mehr als 8U Jahren gewesen sind, hat das alte Europa
von Grund aus verändert. Auch das stille Schasfen der
Kulturmächte und insbesondere die Kunst ist davon tief
erschüttert worden. Hatte sich bis ins voraufgehende Jahr-
hundert die künstlerischs Überlieferung stetig vollzogen, so
daß eins Generation der anderen das Palladium des mit
der Natur versöhnten Jdeals anvertrauen konnte, so erhob
sich nunmehr Zwietracht unter seinen Priestern. Es bleibt
ewig denkwürdig, daß gerade Männer aus dem Norden
es gewesen sind, welchs in Wort und Schrift, in Baukunst,
Plastik, Malerei die Botschaft von Hellas verkündeten. Was
Winckslmann, ein Sohn der Mark, den Künstlern zuge-
rufen, ward in dem Dänen Thorwaldsen, in dem Schles-
wiger Carstens und in dem andsren edlen Sproß der
Mark, in Schinkel, zur That; die Kunst der Griechen
stand als Muster vor dem Geiste der Schaffenden. Eine
andere Schar, aus dersn Mitte Cornelius hervorragt,
ruft die deutsche Vorzeit zaubsrkräftig zurück und strebt in
den vielgestaltigen Wandlungen dsr Romantik neuen
Zielen zu. Dazwischen aber treten Künstler auf — an
ihrer Spitze der Berliner Altmeister Schadow — welche
tsils in geistiger Nachfolgs Schlüters, teils in hingebender
Beobachtung der Wirklichkeit den Anregungsn unseres
heimischen Bodens folgen und Nachkommen erziehen, in
denen wir mehr und mshrvon unseren eigenen Zügen wieder-
finden. Wenn auch in immer anderen Formen, erfüllen
diess Gegensätze dis Geschichte der modernen deutschen
Kunst. Dsn Widerstrsit aber schlichtet damals wie heute
in freier Wahl der Fürst. Wohl wissend, was ein jeder
von ihnsn galt, haben Ew. Majestät erlauchte Vorfahren
und Ew. Majestät Allerhöchst — wie andere hochsinnigs
Häupter unserss Volkes — den Genius, wie er sich gab,
gewähren lassen, ihm die Aufgaben gestellt, an denen er
sich prüfen und erproben, dem Vaterland zu Ehr' und
Zierde schaffen konnte. So erwuchs mannigfaltig, wie es
deutsche Art ist, auch unsere Kunst. Von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt in ihren Gebisten sich erweitsrnd, gewährt sie
dis Fülle der Erscheinungen, die wir in all ihrer Ver-
schiedenartigkeit würdigsn und genießsn, gern hoffend, daß
die mancherlei Gabsn zuletzt in einsm Geiste dsr Wahr-
heit, der Gesittung und der Vatsrlandsliebe zusammen-
wachsen werden — nach dem Vorbild der Geschicke unserer
deutschen Stämme, die unter Ew. Majestät väterlicher
Leitung aus hadernden Brüdern ein einig Haus, eine
starke Familie gewordsn sind, in der ein jeglichsr seine
Stelle ausfüllt. Die Jubiläumsausstellung unserer Aka-
demie bietet das reichsts Bild künstlerischen Schaffens dar,
welches je in Berlin geschaut worden. Nicht unsere hei-
mischen Künstler allein und ihre deutschen Genossen haben
ihr Bestes dargebracht; althergebrachter Sitte gemäß ist
auch das Ausland gastlich eingeladsn worden, und mit
freudiger Bsreitwilligkeit find die Künstlsr aus den Nach-
barstaaten und aus weiter Ferne dem Rufe gefolgt. Jhnen
allen rufen wir ein aufrichtiges Willkommen zu. Gleich-
zsitig aber sei ihnen die Mahnung ans Herz gelegt, dar-
übsr zu wachen, daß unsers Kunst ihrer höchsten Bestim-
mung nicht untreu werde, der Msnschheit, hoch und niedrig,
arm und reich, ein Quell jener Erhebung und Beseligung
zu werden, welche zur Gottheit emporweist. Dann auch
vermag sie erst dsn anderen Beruf zu erfüllen, der ihr
gesetzt ist, trotz aller Mannigfaltigkeit ihrsr Äußerungen
die Völker und die Menschsn zu einigen im Dienst dss
Jdealen! — Zu den Erzsugnissen frsischaffendsrKunst, welche
unsere Ausstellung vorführt, gesellt sich ein Bauwerk sel-
tener Art. Hervorgerufen durch die erfolgreiche Kulturthat
dss neu geeinten Dsutschen Reiches auf klassischem Boden,
giebt dasselbs in archäologischer Treue ein Abbild jenes
Zeustempels wieder, vor welchem dereinst die Spiele der
Hellenen zu Olympia gefeiert wurden — eine rühmliche
Leistung künstlerischer Begeisterung und Thatkraft. Von
seiner Zinne schaut der Siegverleiher herab auf den fried-
lichen Wettkampf moderner Völker um den Lorbeer. Mit
Ew. kaiserl. und königl. Majestät aber mögen die heimischen
Künstler im Rückblick auf die Vorfahren das glückliche
Bewußtsein teilen: ,Wohl dem, der seiner Ahnsn gern
gedenktb"
Nachdem der Kronprinz geendigt, trat der Kultus-
minister vor und sprach folgendes:
„Kaiserliche und königlichs Majestät!
Jndem Ew. Majestät Allergnädigstem Befehle gemäß
ich übsr die Jubiläumsausstellung und ihre Vorgeschichte
Bericht erstatte, lenke ich dankbar den Blick vor allem auf
den dsnkwürdigen Erlaß vom 29. Juni v. I. Ew. Maje-
stät verliehsn in demselben Allerhöchstihrer Befriedigung
Ausdruck übsr die Absicht, im Mai 1886 die 58. akademische
Kunstausstellung zum Gedächtnis der vor 100 Jahren er-
folgten Einführung öffentlicher Ausstellungen zu einer
großen Jubiläumsausstellung auszugestalten. Nach dem
von Ew. Majestät gebilligten Plan soll sie umfasssn einer-
seits Werke lebender Künstler des Jn- und Auslandes
aus den Gsbieten der Malerei, Bildhauerei, Baukunst und
der graphischen Künste, sowie hervorragende Erzeugnisse
der dekorativen Kunst, welche unter dem Namen ihrer
geistigen Urheber ausgsstellt werden, andererseits Werke,
welche einen Überblick über dis vaterländische Kunstent-
wickelung seit den Tagen des erlauchten Stifters der aka-
demischen Ausstellungen, König Friedrichs des Großen,
bis auf die Neuzeit darbieten. Unter huldvollster Über-
nahme des Protektorats genehmigten Ew Majestät gleich-
zeitig, daß Seiner kaiserlichen und koniglichen Hoheit dem
Kronprinzen, dem erlauchten Ehrenmitgliede der Gesamt-
akademie, das Ehrenpräsidium angetragen werden durfte.
So waren Jnhalt und Form des Unternehmens sicher ge-
geben. Weit zurück reichen seine Anfänge. Sie wurzeln
in dem Jahrzehnte lang gshegten Verlangen der Akademie,
nach dem Vorgange der Schwssteranstalten in Wien und
München in ausgedehnten, der Würde der Kunst entspre-
chenden Räumen Rschenschaft abzulegen von ihrem Streben
und Vollbringen. Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte
die Akademie ihre Ausstellungsn beschränkt auf die durch
königliche Munifizenz ihr überwiesenen Räume über dem
Marstall. Mit ihr wanderten sie in das Akademiegebäude
Unter den Linden; aber nach der reicheren Ausgestaltung
der Lehreinrichtungen mußten vor einem Jahrzehnt die Aus-
stellungen abermals weichen und ein gefährdetes Unter-
kommen in dem provisorischen Bau auf der Museumsinsel
suchen. Als eins Erlösung von dem Drucke des Unzu-
länglichen wurds es daher begrüßt, als vor zwei Jahren
dsr Staat dieses auf staatlichem Besitz errichtete Gebäude,
in welchem unter dem Schutze Jhrer Majestät der Kaissrin
ein den edelsten Zwecken der Menschheit dienendes Unter-
nehmen die Blicke der gesamten civilisirten Welt auf sich
gelenkt hatte, für Ausstellungszwecke erwarb. Eingehende
Prüsungen und Versuche überwanden die Zweifel, ob diese
Dis Eröffnung dsr Jubiläumskunstausstellung in Bsrlin.
572
gewitter ohns gleichen, desssn Zeuge Ew. Majestät vor
mehr als 8U Jahren gewesen sind, hat das alte Europa
von Grund aus verändert. Auch das stille Schasfen der
Kulturmächte und insbesondere die Kunst ist davon tief
erschüttert worden. Hatte sich bis ins voraufgehende Jahr-
hundert die künstlerischs Überlieferung stetig vollzogen, so
daß eins Generation der anderen das Palladium des mit
der Natur versöhnten Jdeals anvertrauen konnte, so erhob
sich nunmehr Zwietracht unter seinen Priestern. Es bleibt
ewig denkwürdig, daß gerade Männer aus dem Norden
es gewesen sind, welchs in Wort und Schrift, in Baukunst,
Plastik, Malerei die Botschaft von Hellas verkündeten. Was
Winckslmann, ein Sohn der Mark, den Künstlern zuge-
rufen, ward in dem Dänen Thorwaldsen, in dem Schles-
wiger Carstens und in dem andsren edlen Sproß der
Mark, in Schinkel, zur That; die Kunst der Griechen
stand als Muster vor dem Geiste der Schaffenden. Eine
andere Schar, aus dersn Mitte Cornelius hervorragt,
ruft die deutsche Vorzeit zaubsrkräftig zurück und strebt in
den vielgestaltigen Wandlungen dsr Romantik neuen
Zielen zu. Dazwischen aber treten Künstler auf — an
ihrer Spitze der Berliner Altmeister Schadow — welche
tsils in geistiger Nachfolgs Schlüters, teils in hingebender
Beobachtung der Wirklichkeit den Anregungsn unseres
heimischen Bodens folgen und Nachkommen erziehen, in
denen wir mehr und mshrvon unseren eigenen Zügen wieder-
finden. Wenn auch in immer anderen Formen, erfüllen
diess Gegensätze dis Geschichte der modernen deutschen
Kunst. Dsn Widerstrsit aber schlichtet damals wie heute
in freier Wahl der Fürst. Wohl wissend, was ein jeder
von ihnsn galt, haben Ew. Majestät erlauchte Vorfahren
und Ew. Majestät Allerhöchst — wie andere hochsinnigs
Häupter unserss Volkes — den Genius, wie er sich gab,
gewähren lassen, ihm die Aufgaben gestellt, an denen er
sich prüfen und erproben, dem Vaterland zu Ehr' und
Zierde schaffen konnte. So erwuchs mannigfaltig, wie es
deutsche Art ist, auch unsere Kunst. Von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt in ihren Gebisten sich erweitsrnd, gewährt sie
dis Fülle der Erscheinungen, die wir in all ihrer Ver-
schiedenartigkeit würdigsn und genießsn, gern hoffend, daß
die mancherlei Gabsn zuletzt in einsm Geiste dsr Wahr-
heit, der Gesittung und der Vatsrlandsliebe zusammen-
wachsen werden — nach dem Vorbild der Geschicke unserer
deutschen Stämme, die unter Ew. Majestät väterlicher
Leitung aus hadernden Brüdern ein einig Haus, eine
starke Familie gewordsn sind, in der ein jeglichsr seine
Stelle ausfüllt. Die Jubiläumsausstellung unserer Aka-
demie bietet das reichsts Bild künstlerischen Schaffens dar,
welches je in Berlin geschaut worden. Nicht unsere hei-
mischen Künstler allein und ihre deutschen Genossen haben
ihr Bestes dargebracht; althergebrachter Sitte gemäß ist
auch das Ausland gastlich eingeladsn worden, und mit
freudiger Bsreitwilligkeit find die Künstlsr aus den Nach-
barstaaten und aus weiter Ferne dem Rufe gefolgt. Jhnen
allen rufen wir ein aufrichtiges Willkommen zu. Gleich-
zsitig aber sei ihnen die Mahnung ans Herz gelegt, dar-
übsr zu wachen, daß unsers Kunst ihrer höchsten Bestim-
mung nicht untreu werde, der Msnschheit, hoch und niedrig,
arm und reich, ein Quell jener Erhebung und Beseligung
zu werden, welche zur Gottheit emporweist. Dann auch
vermag sie erst dsn anderen Beruf zu erfüllen, der ihr
gesetzt ist, trotz aller Mannigfaltigkeit ihrsr Äußerungen
die Völker und die Menschsn zu einigen im Dienst dss
Jdealen! — Zu den Erzsugnissen frsischaffendsrKunst, welche
unsere Ausstellung vorführt, gesellt sich ein Bauwerk sel-
tener Art. Hervorgerufen durch die erfolgreiche Kulturthat
dss neu geeinten Dsutschen Reiches auf klassischem Boden,
giebt dasselbs in archäologischer Treue ein Abbild jenes
Zeustempels wieder, vor welchem dereinst die Spiele der
Hellenen zu Olympia gefeiert wurden — eine rühmliche
Leistung künstlerischer Begeisterung und Thatkraft. Von
seiner Zinne schaut der Siegverleiher herab auf den fried-
lichen Wettkampf moderner Völker um den Lorbeer. Mit
Ew. kaiserl. und königl. Majestät aber mögen die heimischen
Künstler im Rückblick auf die Vorfahren das glückliche
Bewußtsein teilen: ,Wohl dem, der seiner Ahnsn gern
gedenktb"
Nachdem der Kronprinz geendigt, trat der Kultus-
minister vor und sprach folgendes:
„Kaiserliche und königlichs Majestät!
Jndem Ew. Majestät Allergnädigstem Befehle gemäß
ich übsr die Jubiläumsausstellung und ihre Vorgeschichte
Bericht erstatte, lenke ich dankbar den Blick vor allem auf
den dsnkwürdigen Erlaß vom 29. Juni v. I. Ew. Maje-
stät verliehsn in demselben Allerhöchstihrer Befriedigung
Ausdruck übsr die Absicht, im Mai 1886 die 58. akademische
Kunstausstellung zum Gedächtnis der vor 100 Jahren er-
folgten Einführung öffentlicher Ausstellungen zu einer
großen Jubiläumsausstellung auszugestalten. Nach dem
von Ew. Majestät gebilligten Plan soll sie umfasssn einer-
seits Werke lebender Künstler des Jn- und Auslandes
aus den Gsbieten der Malerei, Bildhauerei, Baukunst und
der graphischen Künste, sowie hervorragende Erzeugnisse
der dekorativen Kunst, welche unter dem Namen ihrer
geistigen Urheber ausgsstellt werden, andererseits Werke,
welche einen Überblick über dis vaterländische Kunstent-
wickelung seit den Tagen des erlauchten Stifters der aka-
demischen Ausstellungen, König Friedrichs des Großen,
bis auf die Neuzeit darbieten. Unter huldvollster Über-
nahme des Protektorats genehmigten Ew Majestät gleich-
zeitig, daß Seiner kaiserlichen und koniglichen Hoheit dem
Kronprinzen, dem erlauchten Ehrenmitgliede der Gesamt-
akademie, das Ehrenpräsidium angetragen werden durfte.
So waren Jnhalt und Form des Unternehmens sicher ge-
geben. Weit zurück reichen seine Anfänge. Sie wurzeln
in dem Jahrzehnte lang gshegten Verlangen der Akademie,
nach dem Vorgange der Schwssteranstalten in Wien und
München in ausgedehnten, der Würde der Kunst entspre-
chenden Räumen Rschenschaft abzulegen von ihrem Streben
und Vollbringen. Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte
die Akademie ihre Ausstellungsn beschränkt auf die durch
königliche Munifizenz ihr überwiesenen Räume über dem
Marstall. Mit ihr wanderten sie in das Akademiegebäude
Unter den Linden; aber nach der reicheren Ausgestaltung
der Lehreinrichtungen mußten vor einem Jahrzehnt die Aus-
stellungen abermals weichen und ein gefährdetes Unter-
kommen in dem provisorischen Bau auf der Museumsinsel
suchen. Als eins Erlösung von dem Drucke des Unzu-
länglichen wurds es daher begrüßt, als vor zwei Jahren
dsr Staat dieses auf staatlichem Besitz errichtete Gebäude,
in welchem unter dem Schutze Jhrer Majestät der Kaissrin
ein den edelsten Zwecken der Menschheit dienendes Unter-
nehmen die Blicke der gesamten civilisirten Welt auf sich
gelenkt hatte, für Ausstellungszwecke erwarb. Eingehende
Prüsungen und Versuche überwanden die Zweifel, ob diese