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Kunstlitteratur.
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öffnung dienenden) Bogen gegen den stattlichen Raum,
in welchem unten die mächtigen Grabfiguren Michel-
angelo's und andere plastische Werke des 16. Jahr-
hunderts Aufstellung gefunden. Die Anordnung einer
korrespondirendeu Loggia auf der entgegengesetzten Seite,
die, wie jene, den Zugang zu den seitlichen Kabinetten
vermittelt, vervollständigt den malerischen Reiz des
mit einem durch Stichkappen erleichterten Spiegel-
gewölbe und einem gelbgemusterten Oberlicht über-
deckten Raumes. Sonst enthält diese weite, lichterfüllte
Halle nichts an vordringlichem Schmuck außer je zwei
die Flucht der Schmalseiten brechende Säulen von
Stuckmarmor, die vor den unteren Bogenpfeilern zu
den Loggien aufsteigen und deren weitvorkragendes
Gebälk von olympischen Göttern erstiegen ist — Gips-
gvttern zwar, aber immer doch Göttern — die ohne
Frage da oben über Spott und Beifall der in der
Tiefe wandelnden Menge erhaben sind.
Auch derWandschmuck der Bildersäle und sonstigen
Räume ist in maßvoller Weise als ctwas Nebensäch-
liches behandelt; nur in dem Treppenhause schreien
die Farben der stuckirten Wandflächen und die Töne
des Frieses in der Hohlung des Spiegelgewölbes,
der hier, wie billig, sich lebhafter geltend macht, etwas
durcheinander. Der Raum bedarf jedenfalls einer de-
korativen Korrektur, zu der vielleicht über kurz oder
lang der Umstand Veranlaffung giebt, daß neben den
Reliefbildern Schletters nnd Grassi's noch andere
Denkzeichen opferfreudigen Kunstsinnes in die Wände
eingegraben werden müssen.
Aunstlitteratur.
I^enry Thode, Franz von Assisi und die An-
fänge der Kunst der Renaissance in Jtalien.
Mit Jllustrationen. Berlin 1885, Grote. X, 573.
8. Man wird einem Buche von der Bedeutung
und Fülle des Jnhaltes, wie ihn Thode's Franz von
Assisi bietet, durch eine kurze Anzeige eigentlich niemals
gerecht. Der Verfaffer darf mit Fug banales Lob und
summarischen Tadel als unwürdig zurückweisen und
verlangen, daß man sein Werk mit der gleichen Gründ-
lichkeit Prüfe, mit welcher es verfaßt ist, daß man ihm
bei seiner Arbeit Schritt fllr Schritt folge, in seine Ab-
sichten sich vollkommen hineindenke und die abweichende
Meinung eingehend rechtfertige. Wenn hier trotzdem
eine kurze Anzeige gegeben, also ganz folgewidrig ver-
fahren wird, so geschieht es, um einzelne Vorurteile,
welche die rasche Berbreitung des wertvollen Buches
hindern könnten, zu bannen. Man schätzt noch immer
in vielen Kreisen an kunsthistorischen Schriften am
höchsten die Eigenschaft, daß man dieselben beguem nach-
schlagen, ohne große Mühe die einzelnen Lücken in den
Kenntnissen mit ihrer Hilfe ergänzen könne. Schriften,
welche man mit intensiver Aufmerksamkeit lesen mnß,
nur imZusammenhange versteht, schrecken noch häusig ab.
Und Thode's Buch will allerdings sorgfältig studirt
sein. Dann dürfte der flüchtige Einblick in dasselbe
manchen zu dem Glauben verleiten, als enthalte es zu
viel Kirchengeschichte. Jn der That zeigen schon die
Kapitelüberschriften, daß von dem Leben des heil. Fran-
ziskus und seinen Lehren, von dem Orden der Bettel-
mönche, von den Predigten und Dichtungen der Fran-
ziskaner ausführlich gehandelt wird. Dem Verfaffer
hätte es entschieden eine viel geringere Mühe gekostet,
aus der zahlreichen Litteratur über Franziskus und
seine Stistung auserlesene Stellen zusammenzuschreiben,
eine Blütenlese aus den Sprüchen des Heiligen und
seiner Jünger dem kunsthistorischen Teile voranzuschicken.
Am Danke der Halbwisser, die nur angenehm unter-
halten sein wollen, hälte es ihm nicht gefehlt. Daß
Thode selbständig forschte und die Resultate seiner
Forschungen vollständig dem Leser vorführt, auf die
Gefahr hin, weniger kurzweilig zu erscheinen, beweist
nicht nur die Gründlichkeit der Arbeit, sondern auch
das richtige Erfassen der kunsthistorischen Aufgabe. Es
galt in erster Linie, ein künstlich und willkürlich kon-
struirtes Bild von Franziskus zu vermeiden. Daher
mußten sorgfältig alle Züge gesammelt und kritisch
verwertet werden. Der Einsluß des Heiligen auf die
Kunstentwickelung Jtaliens beruht wesentlich auf seinen
religiösen Thaten. Er führte dem Volksglauben neue,
frische Elemente zu, belebte und vertiefte denselben; er
gab der Empfindungsweise der Zeitgenoffen eine ver-
änderte Richtung und machte seine Person und seine
Lehren zu einem Mittelpunkt der nationalen Phan-
tasie. Der neue Jnhalt der letzteren brachte dem
Formensinn, der Auffassung des Lebens und der Natur
in der Kunst fruchtbare Anregungen, rief auch hier
einen tiefgreifenden Wechsel hervor und half eine neue
Kunstperiode gründen. Franziskus übte nicht un-
mittelbaren Einfluß auf die bildende Kunst Jtaliens.
Erst mußte die Zeit — allerdings in merkwürdig
kurzer Frist — um seine Person einen legendarischen
Schein weben, erst seine Lehre zur Volksstimmung
werden und den herrschenden Zuständen sich anpassen,
ehe die Kllnstler den von Franziskus ihnen gebotenen
Phantasiestoff weiter verarbeiten konnten. Diesen langeu
Prozeß war der Berfasser verpflichtet, ausführlich zu
entwickeln und genau darzulegen, sonst schwebte die
Behauptung von dem Einfluffe des Franz von Assisi
in der Luft und besaß keine Glaubwürdigkeit. Die
sogenannten kirchenhistorischen Kapitel sind also durch-
aus nicht überflüsfig. Wie würde man den Forscher
nennen, welcher es unternähme, die Entwickelung der
ueueren deutschen Litteratur zu schildern und dabei
Kunstlitteratur.
732
öffnung dienenden) Bogen gegen den stattlichen Raum,
in welchem unten die mächtigen Grabfiguren Michel-
angelo's und andere plastische Werke des 16. Jahr-
hunderts Aufstellung gefunden. Die Anordnung einer
korrespondirendeu Loggia auf der entgegengesetzten Seite,
die, wie jene, den Zugang zu den seitlichen Kabinetten
vermittelt, vervollständigt den malerischen Reiz des
mit einem durch Stichkappen erleichterten Spiegel-
gewölbe und einem gelbgemusterten Oberlicht über-
deckten Raumes. Sonst enthält diese weite, lichterfüllte
Halle nichts an vordringlichem Schmuck außer je zwei
die Flucht der Schmalseiten brechende Säulen von
Stuckmarmor, die vor den unteren Bogenpfeilern zu
den Loggien aufsteigen und deren weitvorkragendes
Gebälk von olympischen Göttern erstiegen ist — Gips-
gvttern zwar, aber immer doch Göttern — die ohne
Frage da oben über Spott und Beifall der in der
Tiefe wandelnden Menge erhaben sind.
Auch derWandschmuck der Bildersäle und sonstigen
Räume ist in maßvoller Weise als ctwas Nebensäch-
liches behandelt; nur in dem Treppenhause schreien
die Farben der stuckirten Wandflächen und die Töne
des Frieses in der Hohlung des Spiegelgewölbes,
der hier, wie billig, sich lebhafter geltend macht, etwas
durcheinander. Der Raum bedarf jedenfalls einer de-
korativen Korrektur, zu der vielleicht über kurz oder
lang der Umstand Veranlaffung giebt, daß neben den
Reliefbildern Schletters nnd Grassi's noch andere
Denkzeichen opferfreudigen Kunstsinnes in die Wände
eingegraben werden müssen.
Aunstlitteratur.
I^enry Thode, Franz von Assisi und die An-
fänge der Kunst der Renaissance in Jtalien.
Mit Jllustrationen. Berlin 1885, Grote. X, 573.
8. Man wird einem Buche von der Bedeutung
und Fülle des Jnhaltes, wie ihn Thode's Franz von
Assisi bietet, durch eine kurze Anzeige eigentlich niemals
gerecht. Der Verfaffer darf mit Fug banales Lob und
summarischen Tadel als unwürdig zurückweisen und
verlangen, daß man sein Werk mit der gleichen Gründ-
lichkeit Prüfe, mit welcher es verfaßt ist, daß man ihm
bei seiner Arbeit Schritt fllr Schritt folge, in seine Ab-
sichten sich vollkommen hineindenke und die abweichende
Meinung eingehend rechtfertige. Wenn hier trotzdem
eine kurze Anzeige gegeben, also ganz folgewidrig ver-
fahren wird, so geschieht es, um einzelne Vorurteile,
welche die rasche Berbreitung des wertvollen Buches
hindern könnten, zu bannen. Man schätzt noch immer
in vielen Kreisen an kunsthistorischen Schriften am
höchsten die Eigenschaft, daß man dieselben beguem nach-
schlagen, ohne große Mühe die einzelnen Lücken in den
Kenntnissen mit ihrer Hilfe ergänzen könne. Schriften,
welche man mit intensiver Aufmerksamkeit lesen mnß,
nur imZusammenhange versteht, schrecken noch häusig ab.
Und Thode's Buch will allerdings sorgfältig studirt
sein. Dann dürfte der flüchtige Einblick in dasselbe
manchen zu dem Glauben verleiten, als enthalte es zu
viel Kirchengeschichte. Jn der That zeigen schon die
Kapitelüberschriften, daß von dem Leben des heil. Fran-
ziskus und seinen Lehren, von dem Orden der Bettel-
mönche, von den Predigten und Dichtungen der Fran-
ziskaner ausführlich gehandelt wird. Dem Verfaffer
hätte es entschieden eine viel geringere Mühe gekostet,
aus der zahlreichen Litteratur über Franziskus und
seine Stistung auserlesene Stellen zusammenzuschreiben,
eine Blütenlese aus den Sprüchen des Heiligen und
seiner Jünger dem kunsthistorischen Teile voranzuschicken.
Am Danke der Halbwisser, die nur angenehm unter-
halten sein wollen, hälte es ihm nicht gefehlt. Daß
Thode selbständig forschte und die Resultate seiner
Forschungen vollständig dem Leser vorführt, auf die
Gefahr hin, weniger kurzweilig zu erscheinen, beweist
nicht nur die Gründlichkeit der Arbeit, sondern auch
das richtige Erfassen der kunsthistorischen Aufgabe. Es
galt in erster Linie, ein künstlich und willkürlich kon-
struirtes Bild von Franziskus zu vermeiden. Daher
mußten sorgfältig alle Züge gesammelt und kritisch
verwertet werden. Der Einsluß des Heiligen auf die
Kunstentwickelung Jtaliens beruht wesentlich auf seinen
religiösen Thaten. Er führte dem Volksglauben neue,
frische Elemente zu, belebte und vertiefte denselben; er
gab der Empfindungsweise der Zeitgenoffen eine ver-
änderte Richtung und machte seine Person und seine
Lehren zu einem Mittelpunkt der nationalen Phan-
tasie. Der neue Jnhalt der letzteren brachte dem
Formensinn, der Auffassung des Lebens und der Natur
in der Kunst fruchtbare Anregungen, rief auch hier
einen tiefgreifenden Wechsel hervor und half eine neue
Kunstperiode gründen. Franziskus übte nicht un-
mittelbaren Einfluß auf die bildende Kunst Jtaliens.
Erst mußte die Zeit — allerdings in merkwürdig
kurzer Frist — um seine Person einen legendarischen
Schein weben, erst seine Lehre zur Volksstimmung
werden und den herrschenden Zuständen sich anpassen,
ehe die Kllnstler den von Franziskus ihnen gebotenen
Phantasiestoff weiter verarbeiten konnten. Diesen langeu
Prozeß war der Berfasser verpflichtet, ausführlich zu
entwickeln und genau darzulegen, sonst schwebte die
Behauptung von dem Einfluffe des Franz von Assisi
in der Luft und besaß keine Glaubwürdigkeit. Die
sogenannten kirchenhistorischen Kapitel sind also durch-
aus nicht überflüsfig. Wie würde man den Forscher
nennen, welcher es unternähme, die Entwickelung der
ueueren deutschen Litteratur zu schildern und dabei