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Kunstlitteratur.
200
Über die pathetische Marmvrfigur des sterbenden
Adonis, die an der zweiten Schmalwand aufgestellt ist,
wird berichtet, daß ihre Urheberschaft vvn Michel-
angelo gegenEnde des vorigenJahrhunderts inZweifel
gezvgen worden war; daß die Figur aber scit 1850 dem
Meister wieder zuerkannt wnrde und seitdem in den
Usfizien, seit 1873 im Museo Nazivnale unter seinem
Namen und nicht mehr als Werk seines Nachahmers
Binc. Danti dasteht, obwohl in keiner der Biographien
Michelangelo's erwähnt. Wir schließen uns dem Ur-
teile Burckhardts an, der es in seinem Cicerone den
frühen Jahren des grvßen Meisters znschreibt, wenn
auch gerade der Kopf etwas manierirt aussieht.
Jn demselben Saale befinden sich ja zwei Statuen
von Danti, an denen leicht zu beobachten ist, wie ober-
flächlich und leer er bleibt, bei all seiner großthueri-
schen Eleganz.
Ein noch offenes Problem ist laut Herrn Cam-
pani die Frage.nach dem wahren Urheber der Fresken
in der ehemaligen Kapelle des Palastes. Daß dieselben
zwar heutzutage in einem kläglichen Zustande vor uns
stehen, ist bekannt: dennoch möchten wir behaupten,
noch genug Erhaltenes darin zu erblicken ist, um den
Namen Giotto's, abgesehen von den chronologischen
Schwierigkeiten, denen wir dabei begegnen würden,
entschieden zurückzuweisen. — Hier wäre aber noch
zu bemerken, daß die Guida einen merkwürdigen
Fehler von Cavalcaselle bloßstellt; der genannte
Schriftsteller möchte nämlich dem Alessandro Fio-
rentino, welcher der Urheber der Chorfenstergemälde in
S. Maria Novella gewesen sein soll, zwei kleinere
Wandmalereien (ein Rundbild einer Madonna und
einen heil. Hieronhmus) in der Kapelle unter der
Darstellung des Paradieses zuweisen, indem er sich auf
die Jnschrift unter dem Heiligen bezieht, in der er aus
einem Joh. Galeatius Trotti von Alexandrien, floren-
tinischem Prätor, einen Maler Alexander von Florenz
herausgelesen hat ^). Wem übrigens die genannte
Figur des büßenden Heiligen zuzuschreiben sei, wüßten
wir nicht zu entscheiden; sie ist jedenfalls eine sehr
untergeordnete Arbeit. Das Gegenstück dazu, die Ma-
donna in runder Einfassung, trägt das Gcpräge des
Dom. Ghirlandajo an sich, wenn es nicht vielleicht
von seinem von ihm abhängenden Schwager Sebast.
Mainardi herrührt. Nebst einer anderen dedikatori-
schen Jnschrift ist die Jahreszahl 1490 darans zu lesen.
Daß im ersten Saale der Bronzen eine Büste des
1) Die einfach dedikatorische Jnschrift lautet nämlich:
8UL UR01'U61'Il>XU vlVl LILIlOkllLll IV8l6V!V
VLL81'VX1'188IUI L0V!1'!8 60UI1'I8 Ll' IlOO'I'OIllS
-VO VIIOXOI8 ULl»lOOVkiUV8I8 OOV8lI,!-4,1118 00-
Uldll I0U0VVI8 O.ll.lOI'I'll l'liOI'1'l XI.LXXXVLI«I
o'ioills i'ooilvxi'ixi xxxo voU . Uoooooxxxxi.
Antinous (an der dunkeln Wand), welche zwar als eine
späte Reproduktion anzusehen ist, als Testu 6! Oiovs
bezeichnet wird, hat etwas Befremdendes. — Über den
Ursprnng des höchst originellen Knaben im zweiten
Saal, der zwei Schlangen untcr die Füße tritt, dürfte
auch kein Zweifel mehr gehegt werden, daß ihn Vasari
mit Richtigkeit dem Donatello zugeschrieben und daß
die Meinung, es kvnnte ein antikes Werk scin, völlig
auszuschließen ist. Stimmen ja doch die Formen sowohl
des Gesichtes (mit dem eigentümlichen, verzerrtenLächeln)
als auch der Glieder, jader Typus im ganzen vvllkommcn
mit denen der originellen Putten des florentinischen
Meisters überein. Daß dieFigur mit ihrenAttributen nicht
genau zu der hergebrachten Persönlichkeit eines Merkurs
stimmt (als welchen ihn eben Vasari beschreibt), läßt
sich dadurch erklären, daß die Künstler der Renaissance sich
in dergleichen Dingen gar manche Freiheiten erlaubtcn,
und die größten nicht am wenigsten. Man denkc z.B. an
die Art und Weise, die mythologischen und allegorischen
Darstellungen zu behandeln, bei einem Bvtticelli, einem
Pollaiuolo, einem Pier di Cosimo u. s. w. Das freie
Spiel ihrer Phantasie kennt darin keine engen Schran-
ken und pflegt stets die gelehrte Gewissenhastigkeit zu
überwiegen.
Ebenso möchten wir dem Donatello unbestritten
ein Bronzebasrelief neben der Ecke gleich links im
zweiten Saale zusichern, welches der Katalog ihm nur
dubitativ zuweist. Es stellt in der ihm gewöhnlichen
bewegten Weise mit zahlreichen Figuren die Scene der
Kreuzigung dar ^). Wenn man bedenkt, daß ein großer
Teil der Sammlung des Museo Nazionale aus der
Guardaroba dcs Granduca Cosimo stammt und daß
Vasari in derselben eben unter den Werken Dvnatello's
zwei guuäri äi bronro anführt, deren eines lu xussiono
äi Uostro LiZnoro oon Zrun numsro cli tlgure vor-
stellte (heutzutage, wie es scheint, verschollen), und das
andere unu Orooiüssiono, so stellt sich nichts natiir-
licher heraus, als daß das zweite dieser Reliefs eben
dasselbe sei, auf welches wir zu sprechen gekommen sind,
ein Werk, in dem man die späteren, von dem Meister
in hohem Alter zwar nur angefangenen, von Bertoldo
vollendeten großartigen Arbeiten an den Kanzeln von
S. Lorenzo ahnt, und worin sich seine dramatischen
leidenschaftlichen Züge sehr deutlich hervorthun. Wer
flch die gelungene Photographie davon von Alinari^)
verschaffen will, kann selbst darin bemerken, wie sich
alles in der vorzüglichen Bronze, sowohl im Geiste als
in der Ausführung des Einzelnen, mit Donatello's
1) Nicht zu verwechseln mit einem anderen geringeren
Bronzerelief einer Kreuzigung (über der Grabfigur von
Vecchietta), welches nicht ohns Grund als ein Werk des Ago-
stino di Antonio di Duccio angesehen wird.
2) Nr. 1S415.
Kunstlitteratur.
200
Über die pathetische Marmvrfigur des sterbenden
Adonis, die an der zweiten Schmalwand aufgestellt ist,
wird berichtet, daß ihre Urheberschaft vvn Michel-
angelo gegenEnde des vorigenJahrhunderts inZweifel
gezvgen worden war; daß die Figur aber scit 1850 dem
Meister wieder zuerkannt wnrde und seitdem in den
Usfizien, seit 1873 im Museo Nazivnale unter seinem
Namen und nicht mehr als Werk seines Nachahmers
Binc. Danti dasteht, obwohl in keiner der Biographien
Michelangelo's erwähnt. Wir schließen uns dem Ur-
teile Burckhardts an, der es in seinem Cicerone den
frühen Jahren des grvßen Meisters znschreibt, wenn
auch gerade der Kopf etwas manierirt aussieht.
Jn demselben Saale befinden sich ja zwei Statuen
von Danti, an denen leicht zu beobachten ist, wie ober-
flächlich und leer er bleibt, bei all seiner großthueri-
schen Eleganz.
Ein noch offenes Problem ist laut Herrn Cam-
pani die Frage.nach dem wahren Urheber der Fresken
in der ehemaligen Kapelle des Palastes. Daß dieselben
zwar heutzutage in einem kläglichen Zustande vor uns
stehen, ist bekannt: dennoch möchten wir behaupten,
noch genug Erhaltenes darin zu erblicken ist, um den
Namen Giotto's, abgesehen von den chronologischen
Schwierigkeiten, denen wir dabei begegnen würden,
entschieden zurückzuweisen. — Hier wäre aber noch
zu bemerken, daß die Guida einen merkwürdigen
Fehler von Cavalcaselle bloßstellt; der genannte
Schriftsteller möchte nämlich dem Alessandro Fio-
rentino, welcher der Urheber der Chorfenstergemälde in
S. Maria Novella gewesen sein soll, zwei kleinere
Wandmalereien (ein Rundbild einer Madonna und
einen heil. Hieronhmus) in der Kapelle unter der
Darstellung des Paradieses zuweisen, indem er sich auf
die Jnschrift unter dem Heiligen bezieht, in der er aus
einem Joh. Galeatius Trotti von Alexandrien, floren-
tinischem Prätor, einen Maler Alexander von Florenz
herausgelesen hat ^). Wem übrigens die genannte
Figur des büßenden Heiligen zuzuschreiben sei, wüßten
wir nicht zu entscheiden; sie ist jedenfalls eine sehr
untergeordnete Arbeit. Das Gegenstück dazu, die Ma-
donna in runder Einfassung, trägt das Gcpräge des
Dom. Ghirlandajo an sich, wenn es nicht vielleicht
von seinem von ihm abhängenden Schwager Sebast.
Mainardi herrührt. Nebst einer anderen dedikatori-
schen Jnschrift ist die Jahreszahl 1490 darans zu lesen.
Daß im ersten Saale der Bronzen eine Büste des
1) Die einfach dedikatorische Jnschrift lautet nämlich:
8UL UR01'U61'Il>XU vlVl LILIlOkllLll IV8l6V!V
VLL81'VX1'188IUI L0V!1'!8 60UI1'I8 Ll' IlOO'I'OIllS
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o'ioills i'ooilvxi'ixi xxxo voU . Uoooooxxxxi.
Antinous (an der dunkeln Wand), welche zwar als eine
späte Reproduktion anzusehen ist, als Testu 6! Oiovs
bezeichnet wird, hat etwas Befremdendes. — Über den
Ursprnng des höchst originellen Knaben im zweiten
Saal, der zwei Schlangen untcr die Füße tritt, dürfte
auch kein Zweifel mehr gehegt werden, daß ihn Vasari
mit Richtigkeit dem Donatello zugeschrieben und daß
die Meinung, es kvnnte ein antikes Werk scin, völlig
auszuschließen ist. Stimmen ja doch die Formen sowohl
des Gesichtes (mit dem eigentümlichen, verzerrtenLächeln)
als auch der Glieder, jader Typus im ganzen vvllkommcn
mit denen der originellen Putten des florentinischen
Meisters überein. Daß dieFigur mit ihrenAttributen nicht
genau zu der hergebrachten Persönlichkeit eines Merkurs
stimmt (als welchen ihn eben Vasari beschreibt), läßt
sich dadurch erklären, daß die Künstler der Renaissance sich
in dergleichen Dingen gar manche Freiheiten erlaubtcn,
und die größten nicht am wenigsten. Man denkc z.B. an
die Art und Weise, die mythologischen und allegorischen
Darstellungen zu behandeln, bei einem Bvtticelli, einem
Pollaiuolo, einem Pier di Cosimo u. s. w. Das freie
Spiel ihrer Phantasie kennt darin keine engen Schran-
ken und pflegt stets die gelehrte Gewissenhastigkeit zu
überwiegen.
Ebenso möchten wir dem Donatello unbestritten
ein Bronzebasrelief neben der Ecke gleich links im
zweiten Saale zusichern, welches der Katalog ihm nur
dubitativ zuweist. Es stellt in der ihm gewöhnlichen
bewegten Weise mit zahlreichen Figuren die Scene der
Kreuzigung dar ^). Wenn man bedenkt, daß ein großer
Teil der Sammlung des Museo Nazionale aus der
Guardaroba dcs Granduca Cosimo stammt und daß
Vasari in derselben eben unter den Werken Dvnatello's
zwei guuäri äi bronro anführt, deren eines lu xussiono
äi Uostro LiZnoro oon Zrun numsro cli tlgure vor-
stellte (heutzutage, wie es scheint, verschollen), und das
andere unu Orooiüssiono, so stellt sich nichts natiir-
licher heraus, als daß das zweite dieser Reliefs eben
dasselbe sei, auf welches wir zu sprechen gekommen sind,
ein Werk, in dem man die späteren, von dem Meister
in hohem Alter zwar nur angefangenen, von Bertoldo
vollendeten großartigen Arbeiten an den Kanzeln von
S. Lorenzo ahnt, und worin sich seine dramatischen
leidenschaftlichen Züge sehr deutlich hervorthun. Wer
flch die gelungene Photographie davon von Alinari^)
verschaffen will, kann selbst darin bemerken, wie sich
alles in der vorzüglichen Bronze, sowohl im Geiste als
in der Ausführung des Einzelnen, mit Donatello's
1) Nicht zu verwechseln mit einem anderen geringeren
Bronzerelief einer Kreuzigung (über der Grabfigur von
Vecchietta), welches nicht ohns Grund als ein Werk des Ago-
stino di Antonio di Duccio angesehen wird.
2) Nr. 1S415.